Kapitel 69 - Uncle Richie

„Immer herein, am besten mit der nächsten Horrormeldung !“

Die Tür ging langsam auf und Richie steckte vorsichtig seinen Kopf herein. Er lächelte mich unschlüssig an.

„Möchtest Du reden ?“

„Richie, Du bist der einzige Mensch auf dieser ganzen beschissenen Welt, mit dem ich reden will !“

„Oh je !“ sagte er mit einem Blick auf mein Gesicht, auf die bereits leere Flasche, holte Mineralwasser und nahm mir mein noch halbvolles Glas ab.

„Es ist glaube ich nicht sehr ratsam, wenn Du Dich jetzt betrinkst.“

„Ratsam vielleicht nicht, aber es hilft ungemein !“

Ich merkte, dass ich Schwierigkeiten mit dem Sprechen hatte.

„Sorry, Rich. Hätte ich gewusst, dass Du hier auftauchst, hätte ich bestimmt nur Wasser getrunken, hahaha !“

„Hier, trink das. Aber austrinken !“

Folgsam tat ich, was er verlangte. Er griff nach dem Telefon und bestellte schwarzen Kaffee.
Liebevoll strich er ein paar Haarsträhnen aus meinem Gesicht und sah mich besorgt an.

„Schatz, was ist nur los mit Dir ? Wer hat Dir denn so wehgetan ?“

Statt ihm eine Antwort zu geben, zuckte ich mit den Schultern und trank weiter mein Wasser. Er nahm meine Hände in die seinen.

„Sandy, ich glaube, es ist jetzt an der Zeit, mir alles zu erzählen. Ohne irgendetwas wegzulassen oder zu beschönigen. Ich möchte, dass Du alles raus lässt. Und ich möchte, dass Du ebenso die schönen Sachen erzählst, wenn`s auch weh tut.
Okay ?“

Ich sah ihn seine Augen. Konnte ich ihm wirklich trauen ? Sollte ich ihm alles erzählen? Doch in seinem Blick konnte ich nur wahre Besorgnis erkennen. Ich nickte.
Dann begann ich zu reden. Ich erzählte Richie alles. Ich ließ nichts aus, tat nichts dazu. Die Erinnerungen kamen wieder hoch. Er ließ mich reden, wer weiß wie lange ? Dann und wann nahm er meine Hände und streichelte sie beruhigend.

„Es hört sich vielleicht bescheuert an. Aber Du musst dankbar sein für die schöne Zeit, die Ihr miteinander hattet. Lass die schlimmen Dinge weg, sonst schleppst Du das noch ewig mit Dir herum. Reduzier es darauf, dass es eine Episode in Deinem Leben war, die nun vorbei ist. Du bist ein sehr emotionaler Mensch, daher wirst Du immer wieder sehr große Höhen erleben, von denen Du tief fallen kannst. Aber lass nicht zu, dass das Fallen dazu führt, dass Du Dich Deinem kompletten Leben verschließt.“

Ich sah ihn erstaunt an.

„Richie…“

„Pst !“ Er legte mir seinen Zeigefinger auf meine Lippen und schüttelte seinen Kopf.

„Glaub mir einfach. Ich weiß, wovon ich rede.“ Er lachte bitter auf.

„Ich habe in der letzten Zeit schlimme Fehler gemacht. Fehler, die anderen Menschen sehr weh taten. Das schlimmste daran ist, dass ich meine kleine Familie zerstört habe. Aber ich muss damit leben. Und – es ist zwar ein uralter abgedroschener Spruch – die Zeit heilt alle Wunden. Du musst es nur zulassen !“

Dankbar ließ ich mich von ihm in die Arme nehmen.

„Danke ! Du bist ein echter Freund !“

Er hielt mich etwas von sich weg und lächelte.

„Du aber auch !“

Er stand auf und sah zum Fenster hinaus.

„Eigentlich wollte ich Dir sagen, dass unsere Witze im Fitness-Raum Realität geworden sind. Jedenfalls teilweise.“

„Nein ! Wir sind nicht wirklich eingeschneit ?“

„Doch. Von der Außenwelt abgeschnitten. Die Räumfahrzeuge kommen nicht mehr durch und die vom Hotel sind abgezogen worden.“

„Das ist jetzt nicht wahr, oder ?“

„Shining !“

Schaudernd zog ich meine Schultern zusammen. Er lachte leise.

„Na ja, ganz so schlimm wird es ja wohl nicht werden ! Weißt Du was ? Du ziehst Dich jetzt um und wir gehen zu den anderen hinunter zum Abendessen.“

„Ich glaube kaum, dass ich etwas essen kann.“

„Dann gehst Du eben so mit. Einigermassen nüchtern scheinst Du ja wieder zu sein.“

Ich ging ins Bad, um die Spuren wie verlaufene Schminke und verquollene Augen verschwinden zu lassen und zog mir frische Sachen an.
Zusammen gingen wir in den Speiseraum, wo die anderen alle zusammen fröhlich an einem Tisch saßen. Sie hatten gerade begonnen zu essen, so dass es völlig normal schien, dass wir in diesem Moment auftauchten. Vom Gelächter der anderen angesteckt, wurde auch ich etwas gelöster und beteiligte mich daran. Jon ging mir aus dem Weg. Da wir es nicht ganz umgehen konnten, miteinander zu reden, beschränkten wir uns auf das Nötigste. Trotzdem sah er mich immer wieder an.
Später stand ich auf, um zur Toilette zu gehen. Als ich mir die Hände wusch und mein Make-up überprüfte, hörte ich im Nebenraum zwei Stimmen leise miteinander reden.