Sonntag, 6. Juli 2014

Dean legt los und die Chance auf ein wundervolles Abendessen


„Nur Eure Tops. Ich bin sofort wieder da !“

Er ging mit raschen Schritten aus dem Büro und ließ die Tür hinter sich zufallen.

Tini !“ fuhr ich sie erbost an. „Wo bin ich hier und wie zum Teufel bist Du bloß auf diesen Typen gekommen ?“

„Ich…. Ich…..“

Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, fassungslos wie sie war. Doch wir hatten keine Zeit, uns darüber zu unterhalten, da Dean mit zwei T-Shirts in der Hand wieder vor uns stand.

„Na los ! Ich will Euch nicht an die Wäsche, zieht die mal über !“

Er warf Tini ein schwarzes, mir ein weißes Oberteil zu. Beide waren mit Totenköpfen bedruckt, unter denen zwei gekreuzte Knochen lagen. Wir taten, wie uns geheißen und entledigten uns unserer Shirts. Er griff nach einer Schere auf seinem Schreibtisch und fing bei Tini an, die kaum, dass sie ihr eigenes ausgezogen hatte, auch schon in das andere geschlüpft war. Er schnitt und knotete, zupfte, rückte zurecht, trat einen Schritt zurück, besah sich das Ganze. Verwundert rieb ich mir die Augen, das hatte ich noch nie gesehen, er hatte aus einem stinknormalen, nichtssagenden Oberteil ein absolut traumhaftes Einzelstück gezaubert.

Das selbe tat er nur Augenblicke später bei mir, ich ließ ihn gewähren, obwohl er den Eindruck eines Besessenen machte, während er arbeitete. Tinis hatte schräge Schnitte auf Vorder- und Rückseite, meines waagerechte, bei dem er jeden zweiten zusammenknüpfte. An den Ärmeln hatte er einen Längsschnitt gesetzt und die Zipfel zusammengeknotet.

Wir fragten, was wir bezahlen sollten, doch er winkte nur lässig ab.

„Geht jetzt, ich muss mich jetzt konzentrieren.“

Und wir zwei Mädels waren restlos begeistert, als wir aus dem Geschäft gingen.

Ein triumphierender Blick traf mich von der Seite, als wir uns in die Autositze fallen ließen.

„Na ?“ fragte sie nur.

„Hey, das sind die tollsten Shirts, die wir je besessen haben !“ jubelte ich.

„Und Du hast mir mal wieder nicht vertraut !“

„Komm schon ! Du hast doch genau so doof gekuckt wie ich !“

„Ja, ich geb`s ja schon zu. Aber ich wär doch nicht mit Dir dahin gegangen, wenn er nicht die absolut besten Referenzen hätte !“

„Dann gibst Du wohl auch zu, dass er trotz allem sehr seltsam ist ?“

„Auch das gebe ich zu, aber er ist Gerüchten zufolge einer der kommenden Designer, vor allem für ausgefallene Outfits, siehst Du ja ! Wir hätten auch zu einem renommierten Modemenschen gehen können, doch dort hätten wir um einiges mehr bezahlt und hätten wahrscheinlich das Standardprogramm bekommen.“

„Dann wäre ich wie Madonna in so einer Spitzbusen-Korsage herumgerannt ?“

Wir sahen uns an, hielten ganz kurz inne und schütteten uns aus vor Lachen, als wir uns das vorstellten. Sie wischte sich die Lachtränen aus den Augenwinkeln und warf mir einen gespielt bösen Blick zu.

„Wenn Du mich mal ganz dolle ärgerst, dann zwinge ich Dich dazu !“

„Nein, das tust Du mir nicht an !?“

„Doch !“

Zurück im Büro tippselte ich schnell eine kurze SMS an Jon, damit er wusste, wo ich war und sich keine Sorgen machte. Tom nutzte die Tatsache, dass ich da war, sofort zu einer Besprechung, in der er mich auf den neuesten Stand brachte. Meine „Ferien“ waren vorbei, ab morgen durfte ich wieder arbeiten.

Ich wurde sehr aufgeregt, da er für den folgenden Tag den ersten Termin mit Rick Pherson, dem Modeltrainer, anberaumt hatte. Eigentlich konnte ich mich nicht wirklich dabei vorstellen, jedoch war ich gespannt wie ein Flitzebogen, was da wohl auf mich zukommen mochte. Tom kannte mich zu gut und hatte Ke Gao ebenfalls dazu bestellt. Wir sprachen noch über einige Dinge, klärten offene Fragen meinerseits und schließlich ging ich in das Büro nebenan, um in Ruhe meine Emails zu checken. Nebenbei wählte ich Tanjas Nummer, doch sie ging leider nicht ran. So googelte ich nach Dean, und was ich dort las, bestätigte Tinis Aussage. Er schien tatsächlich der kommende Star am Modehimmel zu sein, sehr gelobt für seine Ideen, aus alltäglichen, unscheinbaren Kleidungsstücken ausgefallene Einzelstücke zu fertigen. Ich fand eine Seite, auf der Bilder von ihm waren und war sehr beeindruckt, für wen er schon alles gearbeitet hatte. Dort waren auch viele Kleider, Hosen, Abendroben und so weiter abgebildet, die er entworfen hatte. Es war genau mein Stil, einfach, nicht überladen, aber doch mit Pfiff und kleinen Details, die einen genauer hinschauen ließen.

Mein Handy klingelte. In der Annahme, Tanja würde zurück rufen, meldete ich mich gleich mit „Hey Süße !“. Doch es war Jon. Geistesabwesend hatte ich nicht auf den Klingelton geachtet.

„Wohl eher „Hi Süßer“, oder ? Wen hast Du denn erwartet ?“

„Tanja, ich hab sie vorhin angerufen, aber sie nahm nicht ab.“

„Ach so. Du bist im Büro ?“

„Ja, bin ich.“

„Wie lange arbeitest Du noch ?“

„Eigentlich arbeite ich nicht wirklich, ich informiere mich gerade über einen Designer.“

„Über was ?“ lachte er leise.

„Das ist `ne längere Geschichte, die erzähle ich Dir besser später.“

„Okay, willst Du nachher mit mir essen gehen ?“

„Au ja ! Gute Idee !“ stimmte ich freudig zu, denn so langsam hatte ich Hunger bekommen. Außer dem Mini-Frühstück, das eigentlich gar keines gewesen war, und einem kleinen Stück Kuchen, das mir Hailey vorhin brachte, hatte ich den ganzen Tag nichts gegessen.

„Dann hol ich Dich ab ? So gegen sieben ?“

„In Ordnung, ich freue mich.“

Wir legten auf. Langsam legte ich das Handy wieder auf den Schreibtisch zurück. Seine Stimme hatte komisch geklungen, irgendwie belegt….. Er war sehr bemüht gewesen, normal zu erscheinen. Hoffentlich hatte er nicht noch mal mit Richie gestritten und hoffentlich war nicht sonst noch was passiert. Trotzdem beschloss ich, mich auf den Abend zu freuen.

Sonntag, 15. Juni 2014

Dean


Szenenwechsel:

 

Er hatte lange mit Tico gesprochen, doch dieser hatte keine wirkliche Lösung parat gehabt. Außer den allgemein üblichen Vorschlägen, die man in solch einer Situation hatte, war von ihm nichts brauchbares gekommen. Vielleicht war er auch nur zu geschockt gewesen.

Wie in Zeitlupe legte er das Handy auf die Schreibtischplatte. Dann stand er auf, ging hinüber zu dem kleinen Tischchen, auf dem allerlei Getränke standen. Die beiden Eiswürfel klirrten leise, als er den Whiskey sanft schwenkte, um ihn zu kühlen. Mit dem Glas in der Hand ging er zurück zu seinem Schreibtisch, doch dort hielt es ihn nicht lange. Er trat ans Fenster, trank das Glas in kleinen Schlucken aus und wurde immer ratloser. Ein leiser Zorn grollte in ihm hoch. Warum war es nur so verdammt schwierig geworden in der letzten Zeit ? Kaum war er ein Problem angegangen, hatte versucht, eine Lösung zu finden, tauchte auch schon das nächste auf. Je mehr er über den vergangenen Morgen nachdachte, um so unwirklicher, irrealer wurde es.

Richie hatte alles abgestritten, alles verharmlost. Einzig die Sache mit seinem Handy hatte er zugegeben, leugnen hätte sowieso keinen Sinn gehabt, die Beweise wogen zu schwer. Doch sein Alkoholproblem, auf das er ihn direkt abgesprochen hatte, wiegelte er ab, tat so, als übertreibe er maßlos. Zum Schluss hatte er getan, als wolle ihn Jon nur fertig machen.

Auch die Sache mit Sandy tat er als völlig an den Haaren herbei gezogen ab. Doch er hatte ihm nicht geglaubt, er kannte ihn zu lange. Es tat ihm in der Seele weh, als er daran dachte, wie er sie angeschmachtet hatte. Bei Tageslicht besehen, war sie gestern Abend der Situation vollkommen ausgeliefert gewesen. Klar, sie hatte sich über das Essen und die Mühen, die sich Richie gemacht hatte, gefreut. Aber als sie merkte, was tatsächlich vor sich ging, hatte sie sich unwohl gefühlt, war unsicher geworden. Deswegen schützte sie Müdigkeit und Kopfschmerzen vor……

Und er Hornochse machte ihr dann auch noch eine Eifersuchtsszene ! Ungläubig über sich selber schüttelte er den Kopf. Wie nannte sie das immer ? „Und wieder einmal bin ich hier der Mops !“

Es hatte ihn nicht gewundert, als er vorhin gehört hatte, dass sie weg gefahren war. Ahhhh….. was für ein Glück hatte er nur mit ihr….. Sie wusste, dass er allein sein musste, dass er in Ruhe über alles nachdenken musste……

Er holte sich einen frischen Drink und setzte sich zurück an seinen Schreibtisch. Fahrig fuhr er mit beiden Händen über sein Gesicht. Er musste eine Lösung finden. Zum Wohle aller und zum Wohle der Band.

Kurz entschlossen griff er nach dem kleinen, in Leder gebundenen Adressbüchlein und wählte die erste Nummer.

 

Szenenwechsel:

 

Die beiden freuten sich über alle Maßen, als sie mich in der Tür erblickten.

„Hey, das ist ja eine Überraschung !“ lachte Tini und riss mich in ihre Arme.

„Hallo Süße !“ grinste auch Tom.

Doch als sie mich genauer ansahen, wussten sie sofort, dass etwas nicht stimmte. Ohne Umschweife erzählte ich ihnen von den jüngsten Vorkommnissen, den Teil in der Küche ließ ich natürlich aus. Sie waren sehr betroffen, geschockt, konnten mit dem Geschehenen ebenfalls nicht umgehen. Tom ging zu seinem Arbeitsplatz, holte ein paar Blätter Papier, welche er mir reichte. Darauf waren etliche Adressen von Rehabilitations-Kliniken vermerkt, die er herausgesucht hatte. Akribisch, wie er nun mal war, hatte er eine ausführliche Beschreibung angefügt.

„Danke !“

„Bitte. Ich habe die Liste bereits an Jon gemailt.“

„Aber woher wusstest Du…. ?“

„Na ja, unser letztes Gespräch hat mir keine Ruhe gelassen, eigentlich habe ich mir schon gedacht, dass es noch schlimmer werden wird.“

„Könnt Ihr mich ein bisschen ablenken ?“ fragte ich bittend. „Mit einem Haufen Arbeit oder so ?“

„Kein Thema !“ lächelte meine Freundin.

„Du kannst gleich und auf der Stelle mit mir in die City fahren. Ich habe dort einen Termin mit einem Typen, der sehr vielversprechend in Sachen Klamotten ist. So kannst Du Dir das anschauen und Dir selbst ein Bild machen.“

„Cool !“

Ich freute mich wirklich, denn fast hatte ich auf so etwas gehofft. Ich musste mich dringend beschäftigen, am besten mit einer mir fremden Umgebung, mit etwas Neuem, Aufregendem. Tini holte noch schnell ihre Tasche und wir gingen an Hailey vorbei zum Aufzug.

„Aus irgendeinem Grund mag ich diese Frau nicht,“ sagte ich, als sich die Türen geschlossen hatten.

„Hailey ? Warum denn ? Sie ist äußerst fleißig, verschwiegen und immer sehr hilfsbereit.“

„Keine Ahnung…. Ich hab vielleicht nur so ein Gefühl….“

„Ach was ! Das meinst Du nur ! Ich mag sie sehr gerne.“

„Na dann….“

Nur ein paar Minuten später stoppte sie ihren Wagen vor einem Geschäft, das sofort meine Aufmerksamkeit erregte. Vom äußeren Erscheinungsbild eher unscheinbar, fast schon herunter gekommen, jedoch nur auf den ersten Blick. Beim zweiten, genaueren sah man, dass das ganze gewollt war. Die Fassade war mit altem Holz verkleidet, welches mich an Westernfilme erinnerte. Das Firmenschild hing absichtlich schief über der Eingangstür. Den Schriftzug konnte ich nicht entziffern.

Tini beobachtete mich grinsend.

„Jetzt mach nicht so ein Gesicht !“

„Meinst Du wirklich….?“

„Jetzt komm schon ! Der Typ ist echt cool, Du wirst es sehen !“

Lachend griff sie nach meiner Hand und zog mich mit sich.

Im Ladeninneren wurde mein erster Eindruck bestätigt. Westernflair. Die Wände waren ebenfalls mit roh gezimmerten Brettern verkleidet, die mit rostigen Nägeln befestigt waren. Der Fußboden bestand aus alten, ausgetretenen Dielen, die jedoch sehr gepflegt waren. Darauf lagen sicherlich sehr wertvolle Perserteppiche, die so dick waren, dass man darauf achten musste. In der Mitte hing ein monströser Kerzenleuchter, der mit echten, brennenden Kerzen bestückt war. Die Ware, hauptsächlich Jeans und T-Shirts lag auf Glasplatten. Um das Ganze noch absurder erscheinen zu lassen, erklang aus den Lautsprechern leise, klassische Musik. Irgendwie war ich verwirrt. Im gleichen Augeblick stolperte ich fast, konnte mich jedoch wieder fangen.

„Watch your step !“

Mit einem strahlenden Lächeln stand plötzlich ein junger, schlanker Kerl vor uns, der ebenfalls nicht in dieses Interieur passte. Er trug ein enges schwarzes Shirt, dazu eine Lederhose, die an ihm angewachsen schien, und Turnschuhe. Die langen, braunen Haare hatte er zum Zopf gebunden.

„Hi ! Willkommen !“ strahlte er uns weiter an, gab uns beiden die Hand und als Tini mich vorstellte, wurde das Strahlen in seinem Gesicht noch breiter. „Ich bin Dean. Das ist ja eine Überraschung ! Schön, dass Du Zeit gefunden hast !“

„Ja, das hat sich zufällig ergeben,“ murmelte ich, etwas unsicher geworden ob der Freude, die er zeigte, mich zu sehen.

„Lasst uns nach hinten in mein Büro gehen !“

Wir folgten ihm und ich versuchte dabei die Sachen kurz in Augenschein zu nehmen. Irgendwie war ich ratlos, das hier sah nach einem stinknormalen, durchschnittlichen Geschäft aus. Zwar war die Einrichtung, die Musik und auch der Typ völlig ungewöhnlich als Gesamtbild, aber die Klamotten würde man in einem anderen Laden auf der Welt ebenso finden. Wie war Tini nur auf ihn gekommen ?

Einer seiner Angestellten brachte uns Getränke und wir setzten uns auf eine bequeme Couch. Tini kramte in ihrer großen Tasche, die einer Aktentasche glich, jedoch eher einen femininen Touch hatte. Sie beförderte einen Ordner zutage, der, wie gleich zu sehen war, einige Bühnenfotos von mir enthielt.

„Oh ! Fantastisch !“ rief Dean aus. „Das ist genau das, was ich brauche !“

Er besah sich die Bilder eines nach dem anderen, blätterte zurück, hielt inne, drehte sie und sah mich danach lächelnd an.

„Leider habe ich noch kein Konzert von Dir gesehen, habt Ihr vielleicht auch ein Video dabei ?“

Natürlich hatte Tini auch eine DVD eines Auftrittes eingepackt, wie immer perfekt vorbereitet. Er nahm sie, behielt sie jedoch in der Hand.

„Kann ich die behalten ?“

„Sicher, aber willst Du sie nicht gleich anschauen ?“

„Nein, das mache ich in Ruhe. Auch die Bilder würde ich gerne hier behalten.“

Ich sah irritiert zu meiner Freundin, die den gleichen Gesichtsausdruck wie ich hatte. Unsere beiden Köpfe flogen augenblicklich zu ihm, der wieder nur lächelte.

„Versteht mich nicht falsch, ich muss mir erst ein Bild von Eurer Band machen. Deswegen möchte ich – bevor ich irgendwelche Vorschläge mache – zuerst in Ruhe darüber nachdenken, was zu Euch passt. Außerdem ist die Zeit knapp, soviel ich weiß, muss in spätestens sechs Wochen bereits alles fertig sein ?“

Wir nickten.

„Okay, dann schlage ich vor, wir treffen uns in den nächsten Tagen wieder ?“

Immer noch unsicher, standen wir zögerlich auf und wollten uns verabschieden, als er sich ruckartig an uns wandte.

„Zieht Euch aus.“

Was ?“ kam da von uns beiden.

Er lachte.

Mittwoch, 4. Juni 2014

Dilemma


Ich kam an dem kleinen Kiosk vorbei, der mitten im Park stand. Der Besitzer öffnete gerade die Läden und steckte die Fahne mit der Eiswerbung in die Halterung. Er hob die Hand und winkte mir zur Begrüßung freundlich zu. Kurz entschlossen bog ich vom Weg ab und lief zu ihm.

„Hi, gibt`s bei Ihnen vielleicht schon Kaffee ?“ fragte ich.

„Natürlich !“ lächelte er und goss mir eine Tasse ein. Dann stellte er noch Milch und Zucker dazu und kramte nach einen Löffel.

„Kann ich noch eine Packung Zigaretten bekommen ?“

Er musterte mich von oben bis unten, schaute auf die Uhr und fragte einfach:

„Probleme ?“

„Geht so.“

Ich kramte nach den Dollarscheinen, die ich für Notfälle in der Potasche deponiert hatte. Er gab mir mein Rückgeld und ich setzte mich auf eine der Bänke, die dort in der Nähe standen. Der Kaffee schmeckte gut, selten bekam man in den Staaten richtigen Filterkaffee, meist war es eine durchsichtige Brühe, bei der man den Boden der Tasse sah, doch dieser war fast schon europäisch. Zufrieden trank ich ein paar Schlucke, zündete ich mir eine Zigarette an und inhalierte tief. Nachdenklich schaute ich mich um, besah die großen, alten Bäume, ihr dichtes Laub und die mächtigen Stämme. Was hatten die wohl alles schon erlebt und gesehen ? Wenn die reden könnten….. Unweigerlich musste ich wieder an Richie denken. Warum hatte ich das nicht gecheckt ? Hatten wir uns so gut verstanden, dass mir die große Nähe zwischen uns einfach völlig normal vorgekommen war ? Schließlich hatte ich auch zu meinen Jungs, insbesondere zu Stefan, eine sehr intensive, innige Beziehung, hinter der so mancher Fremder oft mehr vermutete.

Irgendwann merkte ich, dass die Sonne aufgegangen war, und ich sah zur Uhr. So lange saß ich hier bereits ? Zeit, umzukehren und nach Hause zu laufen. Ich wollte gar nicht daran denken, was mich dort erwarten mochte. Jon würde heute mit Richie reden und so wie ich ihn kannte, würde er das nicht auf die lange Bank schieben.

Zögerlich und mit einigem Unbehagen erhob ich mich und machte mich auf den Heimweg. Als ich am Kiosk die Tasse zurück gab, lächelte mich der Mann an.

„Alles Gute !“

„Danke, Ihnen auch !“ erwiderte ich.

Es half ja alles nichts, ich musste zurück. Außerdem war mir bereits kalt geworden, und ich hatte keine Lust, mich auch noch zu erkälten. Die verschwitzten Sachen klebten klamm an meinem Körper und so gab ich Gas, damit mir wieder warm wurde.

Vor dem Anwesen verlangsamte ich mein Tempo, lief ruhig aus und machte einen Satz über die Hecke. Im Garten absolvierte ich ein paar Dehnübungen, dann betrat ich die Küche.

„Hallo Rosita !“

„Nanu ? Du bist auch schon wach ? Und Du warst bereits beim Joggen ?“

Verwundert schaute sie mir ins Gesicht, es fehlte nur noch, dass sie sich die Augen rieb.

„Ist Jon schon auf ?“ fragte ich zurück.

„Ja, schon lange. Und er ist heute ungenießbar.“

„Oh je !“ entfuhr es mir. Das konnte ja heiter werden.

„Er hat nur eine Tasse Kaffee hinuntergestürzt und ist gleich zu Richie hinüber gegangen.“

Ich antwortete nicht, statt dessen griff ich nach einer Flasche Wasser und trank hastig.

„Sag mal, ist irgendetwas im Busch ? Habt Ihr Streit ?“

„Jon und ich haben nicht gerade Streit…..“

„Was ist es dann ?“

Sie unterbrach ihre Arbeit und trocknete die Hände am Geschirrtuch ab.

„Es geht um Rich…. Na ja, es geht ihm nicht gut und…..“

„Sandy, ich weiß, dass er trinkt. Und ich weiß, dass es ihm absolut beschissen geht. Aber was hat das mit Euch zu tun ?“

Ich konnte nicht anders, ich musste mit jemandem reden. Und dieses „was hat das mit Euch zu tun“ ließ ahnen, dass sie mehr wusste. Rosita war immer sehr verständnisvoll, außerdem würde Jon bestimmt nichts dagegen haben. Sie war schon zu lange bei ihm und hatte ihn zu sehr in ihr Herz geschlossen, als dass ich ihr jetzt nicht alles erzählen konnte. Ich gab ihr die Kurzfassung von allem, sie sah mich erst fassungslos an und nahm mich dann wortlos in ihre Arme. Sanft ließ sie ihre Hand auf meinem Rücken liegen und wollte mich beruhigen. Doch diese Geste ihrerseits ließ mir das Wasser in die Augen schießen. Sie hielt mich einfach fest in ihren Armen. Schließlich goss sie mir frischen Kaffee ein und reichte mir diesen mit einem mitleidigen Blick.

„Oh je ! Jetzt ist mir klar, warum Jon vorhin so angespannt war ! Oh mein Gott ! Wenn ich nur daran denke, dass er von Richies Absichten weiß !“

Sie seufzte tief aus ihrem Inneren heraus und sah mich ratlos an.

„Aber Du…..“

Sie stockte.

„Nein nein, Rosita ! Nicht was Du denkst ! Ich hab ja lange nicht gemerkt, wie es um Richie steht. Also…. mir gegenüber……Eigentlich hätte ich das auch nie für möglich gehalten.“

„In seiner Haut möchte ich jetzt nicht stecken.“

„Ich auch nicht !“

Wir schwiegen eine Weile und endlich erhob ich mich und entschuldigte mich bei ihr. Ich wollte raus aus den feuchten Sachen und duschen. Lange, sehr lange ließ ich das heiße Wasser auf meine Haut prasseln, fast schien es, als wollte ich nie mehr aus dieser Duschkabine raus. Meine Gedanken waren im Haus nebenan, ich versuchte mir vorzustellen, wie das Gespräch zwischen den beiden wohl verlaufen mochte. Jedes Mal jedoch wischte ich die trüben Wolken wieder weg.

Nachdem ich angezogen und geschminkt war, beschloss ich, auf der Terrasse zu frühstücken. In der Küche suchte ich mir rasch ein paar Dinge zusammen und trug sie auf einem Tablett hinaus. Doch ich saß kaum dort draußen, als ich von nebenan laute, sehr laute Stimmen hörte. Dann und wann vernahm ich so etwas wie ein Poltern. Ich ließ meine Hand, die das Croissant hielt, sinken, der letzte Bissen blieb mir im Hals stecken.

Das Frühstück war eine unsinnige Idee gewesen, ich konnte nichts mehr essen. Nervös trank ich meinen Kaffee aus und zündete eine Zigarette an. Später fiel mir auf, dass ich eine nach der anderen rauchte. Mir war übel. Der Wind trug dann und wann einzelne Gesprächsfetzen zu mir herüber, ich konnte nicht alles verstehen, doch so langsam schien das Ganze zu eskalieren, denn beide Stimmen wurden lauter und lauter. Sollte ich hinüber gehen, konnte ich vielleicht schlichten ? Besser nicht. Wer weiß, vielleicht war ich gerade im Moment der Zankapfel. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Jon dieses Thema ungesagt ließ, so gut kannte ich ihn mittlerer weile. Rosita kam heraus und fragte mich, ob ich noch etwas wollte.

„Nein, danke !“

„Es ist ziemlich laut, da drüben,“ sagte sie und zog eine leidige Grimasse. Man konnte ihr von weitem ansehen, wie nervös sie war.

„Ja, das ist es. Ich hoffe nur, sie schlagen sich nicht die Köpfe ein.“

„Gott bewahre !“

Erschrocken schlug sie die Hände vor ihr Gesicht und sah mich mit weit aufgerissenen Augen an. Toll, nun hatte ich ihr auch noch Angst gemacht ! Super Aktion, Sandy ! Insgeheim klopfte ich mir ironisch auf die Schulter, doch ich war selber aufgeregt, angespannt, ängstlich, alles auf einmal.

„Soll ich rüber gehen, was meinst Du ?“

„Nein, Sandy, bleib besser hier. Lass es die zwei alleine klären. Ich hoffe nur, sie sind erwachsen genug…..“

„Das hoffe ich auch.“

Sie saß mir gegenüber, knetete ihr Geschirrtuch zwischen den Händen. Ich nahm sie in meine und drückte sie fest. Dabei versuchte ich, sie möglichst optimistisch anzulächeln.

„Es wird schon alles gut gehen. Sie kennen sich ja lange genug.“

„Ach, Du weißt nicht, wie schlimm das beim letzten Mal war ! Sie haben damals kein einziges Wort mehr miteinander gewechselt. Wenn Richie hier angerufen hat, hat Jon den Hörer abgenommen und einfach wieder aufgelegt, kann man sich das vorstellen ? Nein, das möchte ich nie wieder erleben !“

Wieder konnten wir ein lautes Poltern vernehmen. Erschrocken sahen wir uns an, verharrten in der angespannten Haltung. Keine von uns wagte es, sich zu bewegen. Dann, ein erneutes Knallen, eine Tür vielleicht ? Nur Sekunden später hörten wir die beiden Stimmen, wie sie einander anbrüllten, sich überschlugen, einander ins Wort fielen.

„Also, lange halt ich das nicht mehr aus !“ entfuhr es mir und ich merkte, wie mutlos ich wurde.

„Ich auch nicht !“

Mit hängenden Schultern erhob sich Rosita und kam wenig später mit frischem Kaffee zurück. Sie schenkte uns ein und wir tranken still, fast so, als ob wir bei jedem Schluck etwas verpassen würden. Plötzlich jedoch verstanden wir jedes einzelne Wort. Ich schlich zur Hausecke und spähte hinüber. Sie waren auf Richies Terrasse gegangen um zu rauchen.

„Du hast doch wirklich nicht mehr alle Latten am Zaun, also echt ! Wie kommst Du darauf, dass ich Alkoholiker bin ? Und vor allem wie vermessen muss man sein, um zu glauben, ich wäre auf Deine Freundin scharf ? Jon, komm mal wieder runter, Du Supermann !“

„Komm Du mal besser wieder runter ! Glaubst Du eigentlich, ich bin so blöd, dass ich nicht gecheckt habe, was Du gestern Abend hier abgezogen hast ? Dass ich nicht weiß, wie Du sie neulich beim Training angestarrt hast ? Vielleicht säufst Du auch deswegen schon am frühen Morgen ? Richie, ich kenne Dich zu gut…..“

„Wenn Du mich so gut kennst, wie Du vorgibst, dann weißt Du auch, dass an dem ganzen Scheiß, den Du mir vorwirfst, kein einziges Stückchen Wahrheit ist !“

Wer hat denn sein Handy irgendeiner Tussi gegeben ? Mit unseren ganzen privaten Nummern ? Wer platzt in die Umkleide von MEINER Freundin und giert sie an ? Wer lässt gestern Abend ein Menü auffahren, das komplett und ausschließlich auf Sandy abgestimmt ist ? Und wer verpatzt in den letzten Monaten jeden einzelnen Termin, weil er vor lauter Suff nicht mehr weiß, wo vorne und wo hinten ist ? Richie, das bist DU ! Du und nur allein DU !“

Jons Stimme war furchtbar laut geworden und hatte einen Ton angenommen, den ich noch niemals vorher bei ihm gehört hatte. Er flippte regelrecht aus. Jetzt hatten wir richtig Muffensausen.

„Weißt Du Superblondine eigentlich, was Du alles hast ?“

„Rich…..“

„Kannst Du mir mal verraten, warum Du – und immer nur Du – alles in den Hintern geschoben bekommst ?“

„Was zur Hölle meinst Du ?“

„Schau Dich doch um ! Super Haus, super Autos, super Freundin, Super-Jon ! Sogar Deine Gattin würde Dich wieder mit offenen Armen empfangen, wenn Du zu ihr zurück kriechen würdest.“

„Richie, was soll das ?“

„Schnallst Du es wirklich nicht ?“

„Nein, ich verstehe nicht…..“

„Okay, dann erklär ich es Dir. Du stehst im Scheinwerferlicht immer ganz vorne, die Mädels kreischen, sobald Du nur Deinen kleinen Finger bewegst. Du hast vier tolle Kinder. Du hast eine klasse Frau an Deiner Seite. Deine Charity-Sachen funktionieren auch alle bestens, sobald Du etwas anfasst, wird es zu Gold. Kapierst Du es jetzt ?“

„Aber Du und ich, wir machen doch so viel gemeinsam, in den letzten Jahren bist Du bei wichtigen Dingen immer an meiner Seite….. Außerdem lebst Du hier ja auch nicht schlecht….“

„Ja, genau. Mein Dad ist schwer krank, Heather ist mir davon gelaufen, Ava sehe ich nur noch selten…..“

Eine Pause entstand.

„Habe ich vielleicht eine Beziehung so wie Du ?“

„Richie, hör auf mit dem Quatsch ! Spielen wir jetzt das Spiel, wer von uns mehr hat ?“

„Ich sehe das einfach so.“

Die Stimmen wurden leiser, vermutlich waren sie zurück ins Haus gegangen. Rosita stand auf, und entschuldigte sich. Ich nahm an, dass ihr das Ganze zu viel wurde. Nur wenig später brüllten sie sich wieder an. Verzweifelt sah ich zur Uhr, wie lange ging das jetzt schon ? Doch ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Wie gelähmt blieb ich sitzen, wo ich war.

Eine gefühlte Unendlichkeit später kam er zurück.

Schatten lagen unter seinen Augen, wortlos nahm er meine Zigarettenschachtel, zündete eine an und inhalierte tief. Er sah mich nicht an, sprach kein Wort, rauchte nur und starrte auf den Boden vor sich. Ich wagte es nicht, ihn anzusehen, geschweige denn, ihn anzusprechen. Verächtlich warf er die brennende Kippe in den Aschenbecher und stand auf.

„Ich bin in meinem Büro.“

„Willst Du nicht darüber…..“

„Nein. Versteh bitte, ich muss jetzt alleine sein.“

Er ging.

Ich rauchte eine letzte Zigarette, bis ich mich erhob. In der Halle nahm ich meine Handtasche und kramte in der Schüssel auf der Kommode nach einem Autoschlüssel. Die Tür zu Jons Büro war geschlossen, doch ich konnte hören, dass er telefonierte. Leise schloss ich die Haustür und ging zur Garage.