Montag, 22. August 2011

Kapitel 296

Ich wollte mich noch festhalten, bekam jedoch nur Jon`s Arm zu fassen, der es mir blitzartig gleich tat und sich an mich klammerte. So kam es, dass wir eng umschlungen den Hang hinunter kugelten und erst zum Stillstand kamen, als ein großer Busch uns stoppte.

Den erschrockenen Blick von ihm werde ich wohl nie vergessen können, wahrscheinlich hatte ich genau denselben drauf. Nachdem ich mich vom ersten Schrecken erholt hatte, schlug ich mir die Hände vor das Gesicht und lachte lauthals los. Jon, der mich noch immer mit weit aufgerissenen Augen anstarrte, stimmte schließlich mit ein. Lachend lagen wir dort, unfähig aufzustehen. Irgendwann sortierten wir unsere Gebeine und er half mir wieder auf die Füße, was angesichts des abschüssigen Geländes gar nicht so einfach war. Fast auf allen Vieren krochen wir wieder hinauf, hielten uns mit den Händen an den Gräsern fest und erreichten schließlich und endlich wieder den Garten.

Wir klopften uns den Schmutz und die Grashalme von den Klamotten und strahlten uns an.

„Es kommt mir vor, als hätten wir schon ewig nicht mehr so miteinander gelacht….“

„Ja, Jon, mir auch !“

„Hast Du Dir auch nichts getan ?“ fragte er besorgt.

„Nein, und Du ?“

„Ne, alles okay. Hoffentlich hat das jetzt niemand gesehen !“

„Ja, das hoffe ich auch ! Stell Dir mal vor, irgend so ein Paparazzi hätte uns eben abgeschossen ! Nicht auszudenken !“

Er beugte sich wieder nach unten, um Äste, die sich an seinen Schuhen verfangen hatten, zu entfernen. Dann fuhr er sich mit beiden Händen durch die Haare.

„Lass uns reingehen, ja ?“

„Ja, ist wohl besser so, nicht dass nochmals was passiert,“ grinste ich.

Er grinste zurück und legte mir seinen Arm um die Schultern. Gemächlich schlenderten wir nach oben Richtung Haus.

Im Badezimmer konnten wir dann die Bescherung in Augenschein nehmen. Unsere Klamotten waren mit Grasflecken übersät, überall hatten wir braune Flecken von der Erde, mein Shirt hatte an der Schulter einen Riss und in meinen Haaren hingen kleine Ästchen und Halme. Jon`s Gesicht hatte einen erdfarbenen Ton bekommen, der ihn wie einen Bauarbeiter erscheinen ließ.

„Wir beide gehen wohl noch duschen !“ schlug er grinsend vor und ich nickte nur zustimmend.

Beim Abtrocknen stellte ich fest, dass der Absturz doch nicht ganz so glimpflich abgelaufen war. Mein Arm brannte mit einem Mal, dort hatte ich mir eine Schürfwunde zugezogen, die sich vom Ellbogen bis kurz vor die Schulter zog.

„Oh je !“ kam es von ihm, als er es sah. Er kramte im Sanischrank und beförderte nach kurzem Suchen eine Tube hervor.

„Lass mich das drauf machen.“

„Komm schon ! Da ist nur die Haut ein wenig ab, das geht schon,“ wollte ich abwehren, doch er ließ nicht mit sich reden.

„Kommt gar nicht in Frage !“

Sanft und behutsam tupfte er mit Mull darauf herum und verstrich anschließend vorsichtig etwas Salbe darauf. Es war so süß, wie er sich dabei anstrengte und wie genau er es mit der „ärztlichen Versorgung“ nahm.

„Tut es sehr weh ?“

„Nein, eigentlich brennt es nur ein bisschen.“

Er sah mich prüfend an, vermutlich glaubte er mir nicht. Ich lächelte ihn gespielt genervt an, um ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Er drückte mir einen Kuss auf die Stirn und verschloss die Tube.

„Lass uns zu Bett gehen, es ist schon spät.“

In die Decken gemummelt, zog er mich an sich, so dass ich mit dem Rücken an seiner Brust lag. Ich ließ ihn gerne gewähren, das war schließlich meine Lieblingseinschlafstellung. Das leichte Streicheln seiner Hand, die über meinen unverletzten Arm strich, ließ mich vollends entspannen. Die wohlige Wärme, die von ihm ausging tat ein übriges, ich kuschelte mich behaglich an ihn. Nur Sekunden später begannen meine Augen zu flattern und fielen zu.

„Es ist alles ein bisschen viel, momentan,“ murmelte er schläfrig.

„Wann ist hier mal wieder Ruhe ?“ murmelte ich ebenso schläfrig zurück.

„Wir sind beide völlig erschöpft…..“

Seine Stimme war nur mehr ein Murmeln, kaum hörbar….Den kleinen Kuss, den er mir auf die Schulter drückte, spürte ich nur noch unbewusst, dann dämmerte ich weg. Und doch merkte ich im Schlaf, dass er mich in dieser Nacht keine Sekunde los ließ.

Er hatte mich ausschlafen lassen, als ich aufwachte, war es bereits nach zehn. Ich streckte mich wohlig aus und blinzelte den letzten Rest Schlaf aus meinen Augen. Dann schwang ich die Beine aus dem Bett und machte mich im Bad fertig. Als ich die Treppe hinunter ging, hörte ich aus der Küche Zeitungsrascheln und den vertrauten Klang, wenn eine Tasse auf der Granitplatte der Theke abgestellt wurde. Jon stand dort, die Zeitung in der Hand und grinste mich über den Tassenrand hinweg an.

„Hi !“

„Guten Morgen, hast Du gut geschlafen ?“

„Jep !“ antwortete ich und küsste ihn.

Gerade wollte ich mich Richtung Kaffeemaschine wegdrehen, als er mich fest hielt.

„Tut es noch weh ?“ fragte er besorgt und besah sich die Abschürfung genau.

„Nein, es brennt nur ein wenig. Und das auch nicht mehr, wie gestern Nacht. Jon, ich bin nicht aus Zucker, das bringt mich nicht um !“

„Das sicher nicht, aber ich möchte nicht, dass Du eine Narbe davon trägst. Willst Du das nicht besser von einem Arzt anschauen lassen ?“

„Jetzt übertreib mal nicht, so schlimm ist das wirklich nicht. Es ist nur die Haut, die ein wenig abgerubbelt wurde.“

„Wie Du meinst !“ sagte er ergeben, rollte kurz mit seinen Augen und widmete sich wieder seiner Zeitung.

Es läutete an der Haustüre, ich wollte mich gerade auf den Weg machen, um zu öffnen, da hörte ich, wie Rosita jemanden freundlich begrüßte.

„Wohnt hier eine Miss Reed ?“ erklang eine unbekannte Stimme.

„Ja, die wohnt hier !“ antwortete sie mit der ihr eigenen Fröhlichkeit.

„Ich habe ein Paket für sie !“

Fast verschluckte ich mich an meinem Cappuccino. Jon sah mich lächelnd an.

„Das ist bestimmt von Deiner Mam !“

Sonntag, 14. August 2011

Kapitel 295

Er hielt vor einem kleinen italienischen Restaurant, das direkt an der Straße lag. Zufrieden nickte ich ihm zu, als wir ausstiegen. Das war genau das, was ich mir vorgestellt hatte, jedenfalls vom äußeren Eindruck her.

Im Gehen setzten wir unsere Base-Caps auf und zogen diese tief ins Gesicht. Er hielt mir die Tür auf und wir traten ein.

Auch das Innere war so, wie ich das für diesen Abend wollte. Kleine Tische, klapprige Stühle, eine einfache Ausstattung, ohne Schicki-Micki. Eine rundliche Frau, ganz sicher Italienerin, kam an den Tisch und reichte uns nach einem fröhlichen „Buona sera !“ die Karten.

Sie schaute mich eindringlich an und ich zuckte ein klein wenig zusammen. War mir mein Elend schon binnen Sekunden anzusehen ? Mein Zucken hatte sie wohl ebenfalls gleich bemerkt, denn sie zwinkerte mir fröhlich zu.

„Sie können Ihre Base-Caps ablegen, ich denke nicht, dass heute Abend noch jemand hier auftaucht, die sind alle beim Football.“

Verwundert schauten wir sie an, doch sie lächelte nur viel sagend.

„Seien sie unbesorgt ! Das ganze Nest hockt in unserem kleinen Stadion, die Mannschaft kämpft um den Aufstieg in die nächste Liga.“

„Danke,“ erwiderte Jon und lächelte sie freundlich an.

Sie ließ uns allein, damit wir unser Essen aussuchen konnten.

Jon las die Karte aufmerksam, ich dagegen öffnete sie nicht, sondern zündete mir eine Zigarette an. Nach einer Weile sah er mich fragend an.

„Du hast schon ausgesucht ?“

„Ja, ich nehm das, was ich sonst auch immer nehme. Funghi mit Pepperoni.“

„Sonst nichts ?“

„Nein.“

„Ganz einfach also ? Ohne Schnick Schnack ?“

Dieses „Schnick Schnack“ sagte er auf Deutsch.

Wider Willen musste ich lachen, ob des Unbeholfenen, das in den gebrochen ausgesprochenen Worten lag.

Und da war es wieder ! Dieses sonnige, warme Lächeln, das ich an ihm so sehr liebte. Er machte es mir mit der Versöhnung leicht. Leichter, als mir lieb war….

Wir bestellten unser Essen.

Als sie nach den Getränken fragte, meinte Jon nur:

„Rot oder Weiß ?“

„Rot. Einen Landwein, und etwas Wasser, bitte.“

Er lehnte sich zurück und ließ seinen Blick auf mir ruhen.

„Ich glaube, ich weiß immer noch nicht sehr viel von Dir !“

Seine leise Stimme ließ mich ihn erstaunt ansehen.

„So geht es mir mit Dir auch manchmal.“

Er schwieg.

„Ich dachte nicht, dass Du so reagieren würdest,“ brachte ich schließlich mühsam hervor.

„Auf was ?“

„Auf mein Mitbringsel ?“

„Es war einfach…. ungewöhnlich….seltsam….“

Ich versuchte, in seinem Gesicht zu lesen. Lange Sekunden verstrichen, ohne dass ich darauf antwortete. Doch schließlich nahm ich meinen Mut zusammen.

„Eine Amerikanerin hätte das nicht getan…. Aber, Jon, das bin Ich. Vieles hier kommt mir künstlich vor, vor allem beim Essen. Das meiste habt Ihr hier schon fertig vorbereitet, oft weiß man nicht, was wirklich in der Butter ist, im Brot oder in den Getränken. Zuhause konnte ich auf regionale Produkte zurück greifen, wusste, woher mein Fleisch kommt. Deswegen versuche ich auch, so oft wie möglich selbst zu kochen. Und deswegen möchte ich auch an den Traditionen, die ich gewohnt bin, festhalten.“

Er nickte verständnisvoll und wollte ansetzen, um etwas darauf zu sagen, doch ich bedeutete ihm mit der Hand, dass ich noch nicht fertig war.

„Ich liebe Hefeweizen, genauso wie meine Jungs das tun. Ich wollte ihnen eine Freude machen und mir einen kleinen Vorrat anlegen, weil ich nicht wusste, ob ich das hier bekomme. Und Eures schmeckt nun wirklich nicht, das musst Du doch zugeben. Außerdem weiß ich, dass Ihr das auch sehr gerne trinkt, wenn Ihr bei uns unterwegs seid.“

Er nahm meine Hände, hielt sie sanft fest und als er darauf etwas sagen wollte, spürte ich einen leichten Druck.

„Das stimmt schon…. aber…..“

„Es tut mir leid, wenn Du deswegen um Richie Angst hast, aber Du kannst doch nicht allen Ernstes behaupten, dass ich ihn damit gefährde ?“

„Nein, natürlich nicht. Aber die Ereignisse der letzten Tage… da habe ich mir halt so meine Gedanken gemacht. Ich kann mich nur entschuldigen, für mein Verhalten, dass ich das auf Dich abgewälzt habe, doch ich kam mir so hilflos vor, so ohnmächtig. Richie und ich…. wir sind mehr als nur Freunde… wir sind schon so lange zusammen, haben so viel erlebt…. und es tut mir so weh, wenn ich ihn so sehen muss und nichts dagegen tun kann. Jedes verdammte Mal verspricht er mir, dass er es lässt, dass er es im Griff hat, dass es bei diesem „einen“ Mal bleiben würde und dann passiert es wieder.“

Die Sorge um seinen besten Freund stand ihm ins Gesicht geschrieben. Immer noch hielt er meine Hände in den seinen und sah mit starrem Blick darauf.

„Jon, wir werden uns die nächsten Tage gemeinsam überlegen, wie wir ihm helfen können. Und gemeinsam werden wir ihn davon überzeugen, dass er etwas tun muss. Wir beide werden das schaffen, ich bin mir ganz sicher.“

„Meinst Du ? Hilfst Du mir ?“

Sein hoffendes Gesicht brachte mich zum Lächeln.

„Natürlich ! Ich bin keine von den Frauen, die nur bei schönem Wetter da sind !“

Er lächelte zögerlich, aber er lächelte.

„Das weiß ich.“

Die Wirtin kam mit dem Essen.

„Es tut mir leid, dass es etwas gedauert hat, aber wir machen die Pizzen immer frisch, alles ist hausgemacht und da sie aus dem Holzofen kommen, braucht das halt seine Zeit. Guten Appetit !“

„Danke ! Das macht nichts, dafür sehen sie sehr lecker aus !“ lächelte ich sie an.

Sie verschwand ebenso leise, wie sie gekommen war.

„Künstlich also ?“ fragte Jon und die Ironie war nicht zu überhören.

„Ja, es gibt auch Ausnahmen !“ grinste ich zurück.

Es schmeckte wirklich ausgezeichnet und so langsam spürte ich, wie der ganze Ärger von mir wich. Als wir aufgegessen hatten, war ich um einiges ruhiger, gelassener. Er merkte es, denn er fragte:

„Ist es okay, wenn wir dann wieder nach Hause fahren ?“

„Ja.“

Schweigend fuhren wir durch die Nacht zurück. Als wir in der Halle standen, zog er mich mit sich hinaus auf die Terrasse, nahm eine der Decken, die auf den Liegen lagen. Ich wusste, wohin er wollte. Zu unserem Mäuerchen.

Er setzte sich hinter mich und schlang die Decke um uns, so dass wir es warm hatten. Still und ruhig lag das Tal unter uns. Das Lichtermeer der Siedlungen erlosch langsam und wir konnten sogar das Schimmern des Mondes auf dem Meer sehen. In dieser Nacht war Vollmond. Lange saßen wir dort, aneinander gekuschelt und genossen den Frieden, der sich über uns legte. Keiner von uns beiden würde die Magie des Augenblicks zerstören.

„Wir müssen Richie helfen,“ flüsterte ich.

„Ja, das müssen wir.“

„Aber wie ?“ fragte ich und die Hilflosigkeit in meiner Stimme ließ ihn aufhorchen.

„Du machst dir große Sorgen um ihn, stimmt`s ?“

„Ja, Du etwa nicht ?“

„Doch, Sandy. Aber das geht schon so lange, dass ich einfach keine Chance mehr sehe, etwas zu tun. Ich habe schon so viel probiert, bei allem hat er nur blockiert und es als lächerlich abgetan. Das Schlimme ist, er säuft nur, wenn er zuhause ist. Wenn er auf Tour ist oder seinen anderweitigen Verpflichtungen nachgeht, hat er sich im Griff. Du hast es ja selbst mitbekommen, er trinkt dann nicht mehr, als andere auch. Eben ein, zwei Bier, in geselliger Runde.“

„Warum meinst Du, ist es jetzt passiert ?“

„Ich habe keine Ahnung, was ihn momentan umtreibt. Außer, dass er keine Beziehung hat, dass er deswegen unglücklich ist.“

„Und dann sieht er noch uns beide jeden Tag, direkt nebenan….“

„Hmmm….“

Wieder versanken wir in unsere Gedanken. Er legte seinen Kopf auf meine Schulter, kuschelte sich dicht an mich und hielt meine Hände in den seinen. Dann und wann hauchte er einen Kuss auf meine Haare. Ich lauschte seinem leisen Atem und sog die Stille tief in mich ein.

„Süße ?“ flüsterte er nach einer endlosen Zeit.

„Hmmm….?“

„Sag, ist zwischen uns wieder alles okay ?“

Ich wandte leicht den Kopf, um ihm in die Augen sehen zu können.

„Was meinst denn Du ?“ fragte ich zurück.

Er lächelte unsicher.

„Jetzt sag schon….“

Sein bittender, jungenhafter Blick ließ mich in meinen Grundfesten erbeben. Mit einem leichten Nicken bejahte ich seine Frage. Der Kuss, der folgte, ließ mich alles Geschehene vergessen. Ich spürte seine Lippen sanft auf den meinen, zart und sachte, leicht wie eine Feder. Dann spürte ich seine Zunge, die mit meiner spielte. Warm und weich entführte sie mich in die Welt, in der außer uns beiden niemand Zugang hatte. Er hielt mich fest in seinen Armen und ich meinte, jeden einzelnen Muskel von ihm spüren zu können. Sein klopfendes Herz, sein Atem, der über meine nackte Haut strich….Bestimmt würden wir heute noch dort sitzen, hätte uns nicht eine dunkle Macht einen Strich durch die Rechnung gemacht….