Dienstag, 21. September 2010

Kapitel 289

Szenenwechsel:

Irgendwann war es mir zu bunt geworden. Ich verstand ihn nicht. Warum nur machte er so ein Theater darum ? Eigentlich hatte ich eher damit gerechnet, dass er sich darüber amüsierte. Und war es denn nicht tatsächlich so, dass es in den Staaten kein vernünftiges Bier gab ? Mir war, als sollte ich ein schlechtes Gewissen haben, mich als Alkoholikerin fühlen…. Gerade er, der sein Leben ja auch gelebt hatte, wollte mir Vorhaltungen machen ? Wegen so einem Kinkerlitzchen ? Auf keinen Fall würde ich mir das bieten lassen, soviel war sicher, nicht wegen so einem kleinen Ding. Am meisten ärgerte mich, dass er gar nicht wusste, warum und wieso.

Erstens war ich niemals von Alkohol abhängig gewesen, zweitens konnte ich ohne dass mir etwas fehlte, wochenlang ohne Alkohol auskommen, allein meiner Stimme wegen, drittens trank ich meist nur in Gesellschaft. Und viertens - der allerwichtigste Grund - war das Bier zum großen Teil für meine Jungs gedacht. Mit einem grimmigen Grinsen im Gesicht freute ich mich dennoch auf ein gepflegtes Weizen heute Abend. Das würde ich mir schon zum Trotz genehmigen. Hätte er mich wegen meines Konsums an Kaffee ausgeschimpft, das hätte ich wenigstens verstehen können…..

„Miss Reed ?“ wurde ich aus meinen Gedanken gerissen.

„Ja ?“ wandte ich mich zu Mr. Williamson um.

„Wir haben ein kleines Problem mit Ihrem Schrank….“

Er sah mich verlegen lächelnd an.

„Welches denn ?“ fragte ich ihn, wischte mir die Hände an meinem Rock ab und ging zu ihm.

„Ehrlich gesagt, wir wissen nicht, wie dieser zusammen gebaut wird !“

Trotz meines Unmutes über Jon musste ich lachen.

„Die Keile ?“

„Ja,“ erwiderte er und kratzte sich am Kopf.

Wir gingen zusammen in die Halle, wo seine Männer ratlos um die Einzelteile standen. Ich zeigte ihnen, wie die Holzkeile in die Seitenwände gesteckt und dann mit dem Boden und dem Oberteil verbunden werden mussten. Von den Seitenwänden gingen weitere Querverstrebungen ab, die ebenfalls miteinander verzahnt werden mussten, so dass die Stabilität erreicht wurde. Sie lachten ob ihrer Unwissenheit und einer meinte dann:

„Tut uns leid, aber so was haben wir wirklich noch nie gemacht ! So was wird ja heutzutage gar nicht mehr hergestellt. Alles ohne Schrauben und Dübel, nur verkeilt…. So was haben wir noch nie gesehen….“

Besser, ich bleibe dabei und helfe, bis das Ding steht…. dachte ich im Stillen. Er war mir zu wertvoll, als dass ich zugelassen hätte, dass er nicht ordnungsgemäß aufgestellt wurde. Ich nickte einem der Arbeiter aufmunternd zu und hielt eine der Wände fest. Mit der freien Hand zeigte ich ihm, welches Teil nun kam und wo es hin gehörte. Als er das System kapiert hatte, war es nicht mehr so schwierig und zum Schluss musste ich gar nicht mehr viel zeigen.

Jon sah uns zu, jedoch konnte ich seinen Gesichtsausdruck nicht deuten. Wollte er lächeln oder war er damit beschäftigt, möglichst unbeteiligt auszusehen ? Langsam aber sicher wurde ich wirklich sauer….

Die Möbelpacker waren mit ihrem Job fertig, die Kisten, Kartons und Möbel waren alle am gewünschten Ort und warteten darauf, ausgepackt zu werden. Die Halle war soweit wieder aufgeräumt, der Container leer und auch der Zankapfel Bier hatte seinen Weg in den Keller gefunden. Jon quittierte den Rapportzettel, gab ein ordentliches Trinkgeld und die Männer verabschiedeten sich freundlich. Eigentlich schien alles in bester Ordnung zu sein…..

Was Mr. Rockgott wirklich bewegte, schien in den nächsten Sekunden allzu deutlich. Richie kam mit drei gefüllten Weizengläsern aus der Küche, nur der liebe Gott wusste, wie er in dem ganzen Chaos an meine Gläser gekommen war. Die Holzkisten, in denen mein Geschirr lagerte, waren noch nicht ausgepackt.

„Na dann, lasst uns anstoßen ! Allerdings hab ich die Zitronen weggelassen, nicht, dass ich hier noch Schimpfe krieg,“ sagte er strahlend.

Doch das Lächeln gefror ihm sofort ein, als er in Jon`s Gesicht blickte.

„Ich hab noch einen Termin in der Stadt,“ sagte dieser kurz angebunden.

„Jetzt ?“ fragte ich.

„Heute ?“ fragte Richie im gleichen Atemzug mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Ja, ich muss was erledigen, dass ich nicht aufschieben kann. Ich bin bald zurück.“

Er bedachte mich mit einem flüchtigen Kuss, drehte sich ohne ein weiteres Wort um und ging.

Nun war ich sauer.

Das konnte doch jetzt echt nicht wahr sein ! Vollkommen fassungslos und hilflos ließ ich mich auf eine der Holzkisten sinken, meine Knie gaben nach. Was zur Hölle war mit ihm los ? Ich verstand ihn immer weniger. Richie schien es ähnlich zu gehen, er stand immer noch dort, mit den drei Gläsern in der Hand, sah abwechselnd zur Haustür, die eben laut ins Schloss gefallen war und dann wieder zu mir. Ich streckte einen Arm aus und bedeutete ihm wortlos, er möge mir eines der Weizen geben. Mit einem mitleidigen Blick reichte er mir es und stieß mit einem bedauernden Lächeln mit mir an.

„Cheers !“

Ich nickte nur und nahm einen tiefen Schluck. Danach wischte ich mir den Schaum von der Oberlippe. Eine Weile saßen wir schweigend dort, jeder in seine Gedanken versunken. Jons Reaktion war für uns beide nicht nachzuvollziehen, es beschäftigte uns wohl zu sehr.

„Sandy….“ ergriff Richie leise das Wort.

Ich sah zu ihm auf und schüttelte den Kopf.

„Schon okay,“ wehrte ich lahm ab.

„Nichts ist okay. Ich seh doch, wie`s Dir geht. Ist irgendetwas zwischen Euch beiden vorgefallen ? Ich mein, das ist doch nicht normal, wie der sich verhält ?“

„Nein, es war alles eitel Sonnenschein, zumindest solange, bis er die Kisten entdeckt hat.“

„Und dann ging er so ab ?“

„Ja, und ich hab keine Ahnung, warum. Ist es denn soooo schlimm, was ich gemacht hab ?“

„Nun, es ist schon eine ganze Menge an Bier und für eine Frau ist so ein Mitbringsel etwas….. sagen wir mal, ungewöhnlich.“

„Mag sein….aber….“

„Aber was ?“ fragte er sanft und lächelte mich dabei mit seinem warmen, liebevollen Lächeln an. Dieses Lächeln tat mir so gut in diesem Augenblick, von Anfang an hatte es mich für Richie total eingenommen. Schon damals, als wir uns in Kanada im Park getroffen hatten….

„Aber was ?“ hakte er nochmals nach und setze sich auf die Kiste neben mir.

„Es ist doch nicht alles für mich, der allergrößte Teil ist für die Jungs gedacht, als Mitbringsel aus unserer Heimat. Sie mögen das so gerne und Ihr trinkt das doch auch ? Ich hab mir nichts schlimmes dabei gedacht…. Jon weiß doch gar nicht, was es für mich bedeutet, hier her gezogen zu sein…. weit weg von meinem daheim…. Auf einem anderen Kontinent….und er fragt nicht mal nach, warum…. wieso…. was wirklich dahinter steckt…. ich hab eben meine Traditionen…. wir haben bei unseren Proben immer welches getrunken…. es ist unser Bandgetränk….ein kleines Ritual…..“

Ich verhaspelte mich, stotterte und schließlich liefen mir die Krokodilstränen über die Wangen…..

„Na komm schon her !“

„Irgendwas brauche ich doch hier von zuhause…. ich bin doch keine Alkoholikerin…. wieso stellt er mich so hin…..“

Er zog mich in seine starken Arme und strich beruhigend über meinen Rücken. Wie ein Kind saß ich dort auf seinem Schoß und ließ mich von ihm trösten. Er murmelte nur dann und wann ein leises „schschsch“…. „schon gut“…..

Ich heulte wie ein Schlosshund.