Sonntag, 4. September 2011

Kapitel 297

Nichts hielt mich mehr, die Neugier wurde übermächtig. Schnell flitzte ich auf Umwegen, weil die Küche immer noch mit meinen Kartons voll gestellt war, hinaus und riss dem Mann vom Paketdienst die Schachtel aus den Händen. Aufgeregt las ich das Etikett, und war ziemlich überrascht. Mit zitternden Händen stellte ich es auf der Theke ab und suchte nach einem Messer, um das blaue Klebeband aufzuschneiden.

„Halt ! Das mach besser ich ! Du zitterst ja wie Espenlaub !“ grinste Jon und nahm mir das Messer aus den Händen. „Von wem ist es denn ?“ Nun war er auch neugierig geworden und drehte es zu sich, damit er den Absender lesen konnte.
„Tanja ?“ fragte er ebenfalls überrascht.

„Nun mach schon auf !“ forderte ich ungeduldig. Ich konnte es fast nicht mehr aushalten und hibbelte von einem Bein auf das andere. Die Luftpoltersäckchen und das Packpapier flogen zur Seite, und was ich dann sah, ließ mich die Luft anhalten.

„Oh Tanja, Du bist ja soooo süüüüüß !“ jubelte ich lauthals.

Mit fliegenden Händen beförderte ich alles zu Tage, was sich im Dunkel des Kartons versteckte. Meine übermächtige Freude hatte Jon nun sprachlos gemacht. Er sah mich mit offenem Mund an und schüttelte ungläubig den Kopf.

Mhhhhmmmm ! Gummibärchen ! Und dann noch die große Tüte ! Tataaaa ! Und so viele Tafeln Noisette Schokolade mit 300 Gramm (wobei ich mir immer und immer wieder einrede, es wären nur 200 Gramm), 4 Nutella Gläser, Maultaschen, Spätzle, Schupfnudeln, Weißwürste, natürlich alles vakuumverpackt, der dazugehörige süße Senf, und als ob das noch nicht genug wäre, eine Stange Black Devil, die süßen, schwarzen Zigaretten, die man in Deutschland schon so schwer bekommen konnte. Ganz tief unten lag, extra in Luftpolsterfolie verpackt, eine Flasche Cellini.
Jon sah mich fragend an.

„Den hab ich mit meinen Bon Jovi Mädels immer getrunken. Runaway mag den so sehr !“

„Runaway ?“ 

„Runaway ist ihr Nick auf .de,“ erklärte ich ihm atemlos.

„Nick ? de eh ?“

Sein Gesicht sagte mir, das er nur noch Bahnhof verstand, so aufgeregt wie ich war und so schnell wie ich plapperte, war das ja auch kein Wunder……

„Runaway ist ihr Tarn- oder Spitzname im Internet und mit .de meine ich das deutsche Fanforum von Euch.“

„Ah. Und da warst Du auch angemeldet ?“

„Jon, was für eine Frage ! Natürlich ! Bin ich übrigens immer noch.“

Ich musste laut loslachen, als ich an Tanjas Geburtstag dachte und erzählte Jon davon.
Noch während wir bei Kaffee und Kuchen saßen, ich hatte gerade einmal die Hälfte meines Kaffees getrunken, flüsterte mir Runaway zu:

„Sach ma, gibt`s hier eigentlich nichts Richtiges zu trinken ?“

Grinsend war ich aufgestanden und hatte Tanja um eine Flasche Prosecco gebeten, die diese mir mit rollenden Augen wortlos überreicht hatte. Heimlich füllte ich unsere Kaffeetassen damit, schließlich waren Runaway und ich zum aller ersten Mal mit Tanjas Familie zusammen….
Nachdem die Familie weg war, hatten wir einen richtigen Mädelsabend verbracht, einander schmutzige Fantasien erzählt, schmutzige Erlebnisse gebeichtet und über Männer abgelästert. Ihre Nachbarin, die gleich nebenan wohnte, war auch noch geblieben und so waren wir 4 Blondinen in einem Raum und völlig losgelöst durch Unmengen von Prosecco im Blut. Wir hingen kreuz und quer auf Tanjas Sofa, manche drauf und manche auch davor. Je später es wurde, um so mehr schaukelten wir einander hoch mit unseren Geschichten und unserem Gelächter. Am nächsten Tag hatte ich richtigen Bauchmuskelkater vor lauter Lachen. Das war jedoch nicht so schlimm wie Runaways Kater am nächsten Tag. Den hatte sie nämlich auch noch am späten Nachmittag, als wir los wollten auf den Weihnachtsmarkt…..
Wir hatten uns vorher zum Kaffeeklatsch bei mir verabredet, doch Runaway – immer noch grasgrün im Gesicht – vertrug nur Kamillentee. Sie meinte, was anderes würde sie eh nicht bei sich behalten. Jedoch, als wir auf dem Markt angekommen waren, trank sie einen Glühwein nach dem anderen. Spät in der Nacht trudelten wir wieder bei mir daheim ein und wollten einen letzen Absacker zu uns nehmen. Dieser Absacker dauerte dann allerdings auch noch bis fast vier Uhr früh. Da war sie dann wieder fit.
Er grinste nach meiner Erzählung frech über alle vier Backen.

„Was meinst Du mit „schmutzigen Fantasien“ ? Was habt Ihr Euch da so erzählt ?“

„Jon, glaub mir, das willst Du nicht wirklich wissen !“

„Jetzt erzähl halt…..“

„Nein, ganz bestimmt nicht !“

„Ich will das jetzt aber wissen ! ALLES !“ kam er fordernd auf mich zu.

„Ich werde aber nix erzählen ! NIHIIIICHTS !“

„Jetzt komm schon !“ forderte er und setzte dabei dieses charmante Lächeln auf, dem ich normalerweise keinesfalls widerstehen konnte. Doch ich riss mich zusammen und schüttelte mit zusammengepressten Lippen den Kopf.

„So schlimm ?“

„Schlimmer !“

„Geht`s bei Euch immer so zu ?“ fragte er dann etwas konsterniert.

„Meistens.“

Ganz sicher würde ich ihm niemals davon erzählen, wie wir die DVDs von Bon Jovi anschauten und wie oft wir diese stoppten, um sein Standbild anzusabbern. Oder wie wir über sein Hüftkreisen, seine Blicke oder etwa sein Lächeln diskutierten…..Die endlosen Gespräche über seine Shirts, seine Hosen….Wenn er seine Arme hochreckte und sein berühmtes „V“ zutage trat…. Wie sollte ich ihm auch das Gekreische und Gequieke erklären, das immer dann lautstark auftrat, wenn er das machte ? Auf keinen Fall. Auf gar keinen Fall. Kopfschüttelnd drehte er sich weg, allerdings konnte er sein Grinsen dabei nicht verheimlichen.

Wieder schaute ich die Sachen an, die sie mir geschickt hatte. Dankbar schickte ich ihr ein lautloses „Danke !“ in die Richtung, in der ich meine alte Heimat vermutete.
Jon grinste über beide Backen und holte sich noch frischen Kaffee.

„Stop !“ rief er plötzlich und hielt meine Hände fest, die das Packmaterial bereits wieder in den Karton beförderten.

„Was ?“

„Sie hat Dir die Sachen doch nicht geschickt, ohne eine Zeile zu hinterlassen ? Ist kein Brief drin ?“

„Stimmt….“

Rasch kramte ich das ganze Zeugs wieder heraus und musste schon wieder lachen.

„Captain Crash !“ kreischte ich und lachte Tränen.

Jon sah mich wieder vollkommen fassungslos an, so langsam verstand er die Welt wirklich nicht mehr.

„Schatz, Du hältst Konfetti in den Händen, was hat das mit Captain Crash zu tun ?“

„Schatz, Captain Crash ist ein Song der Band Bon Jovi. Wenn Bon Jovi diesen Song auf einem Konzert spielt, wird Konfetti geworfen. Sag bloß, Du hast das noch nie mitgekriegt ?“

„Also, ganz von der Rolle bin ich nun auch wieder nicht, natürlich weiß ich, dass die Fans das immer werfen. Aber sagt Ihr tatsächlich so dazu ?“

„Jep. Bei uns heißt Konfetti nicht Konfetti, sondern eben Captain Crash !“

Kopfschüttelnd lachte er laut auf und ich ließ mich in seine Arme fallen. Kurz musste ich noch daran denken, wie Tanja ihr Geburtstagsgeschenk von Runaway öffnete und der Boden des Wohnzimmers voll davon war....Doch nur Sekunden später löste ich mich wieder von ihm. Die Nachricht.
Ganz unten fand ich dann das kleine, pinkfarbene Kuvert und riss es auf.