Freitag, 29. Januar 2010

Kapitel 249

Wenigstens hatte er in den nächsten Stunden genügend Zeit, sich gründlich auf das Gespräch vorzubereiten. Er überlegte, was er Dorothea sagen wollte. Er stellte sich vor, wie sie sich verhalten würde. Nach einer Weile wischte er die Gedanken unwillig von sich. Es brachte sicher nichts, wenn er Mutmaßungen anstellte. Wahrscheinlich würde es sowieso ganz anders laufen, als er es sich so vorstellte. Und wünschte.

Der Wagen hielt vor dem Wolkenkratzer, in dem sich ihr Büro befand. Noch im Auto sitzend, zog er sich seine Jacke über. In New York war es zu dieser Jahreszeit oft noch sehr kalt. Im Aufzug gab er den Sicherheitscode ein, der den Lift direkt vor ihren Räumen halten ließ. Seine Mitarbeiter begrüßten ihn freundlich, aber verhalten. Natürlich wussten sie, warum er hier war.
Bonny, seine persönliche Sekretärin und Büroleiterin stand rasch von ihrem Schreibtisch auf, als sie ihn sah.

„Hi Jon ! Schön Dich zu sehen ! Wie geht es Dir, alles okay ?“

Wie immer war sie mütterlich besorgt um ihn. Er nickte nur, nahm sie freundlich in die Arme und ließ sich von ihr zur Seite ziehen.

„Deine Anwälte sind da und warten bereits in Deinem Büro. Dorothea ist noch nicht erschienen.“

„Hast Du schon was gehört ?“

„Nein. Aber Deine Anwälte sind gut drauf. Ich fragte vorhin, wie lange es voraussichtlich dauern würde, wegen Deinem Rückflug und so und sie meinten, höchstens zwei Stunden.“

„Danke Dir. Dann wollen wir mal.“

„Jon ? Alles Gute und viel Glück !“

Er lächelte sie an und drückte die Türklinke hinunter.
Die Männer sprangen auf, als er herein kam. Nach ein paar kurzen Floskeln setzen sie sich und informierten ihn in groben Zügen über ihre Strategie. Ihm war schlecht geworden. Seine Hände schwitzten und er hatte weiche Knie. Die Juristen erklärten ihm, was sie vorbereitet hatten und er nickte es ab. So langsam wurde ihm bewusst, was auf ihn zukommen würde. Er hing nicht an den Werten, die er ihr überlassen würde. Und doch tat es auf eine eigenartige Weise weh. Ein Teil seines Lebens, ja ihres Lebens würde auseinander gerissen werden. Kurz, ganz kurz nur ließ er dieses Gefühl in sich aufwallen und horchte tief in sich hinein. Was war das für ein Gefühl ? Lag ihm noch etwas an seiner Frau, oder warum tat es so weh ?

Vorbei. Vorbei. Vorbei.
Dieses Wort hallte laut und aufdringlich in ihm nach. Er bat um eine kurze Unterbrechung, die beiden Männer am Tisch gegenüber nickten nur verständnisvoll, mit einer Mischung aus Mitleid. Sie kannten ihn schon lange und hatten bereits einige knifflige Angelegenheiten für ihn aus der Welt geschafft.
Bonny sah ihn fragend an, als er vor ihrem Schreibtisch auftauchte. Auch die anderen Mitarbeiter warfen ihm verhohlen neugierige Blicke zu.

„Welcher Raum ist frei, Bonny ? Ich brauch ein paar Minuten.“

„Oh Jon ! Du siehst schrecklich aus ! Komm mit, der kleine Besprechungsraum hinten, oder möchtest Du lieber in Dein Büro ? Ich sorg dafür, dass Du ungestört bist.“

Dankbar nickte er und sie ging ihm voraus die paar Schritte in Richtung seines Eckbüros. Freundlich hielt sie ihm die Tür auf und erkundigte sich, ob er noch etwas brauchen würde.

„Nein, danke. Ich will nur ein bisschen allein sein.“

Sie zwinkerte ihm aufmunternd zu, doch auch sie konnte ihr Mitleid nicht verbergen.
Als er alleine war, trat er an die großen Fenster. Bilder tauchten vor ihm auf. Doro, bei ihrem ersten Date, damals als Teenager. Doro, wie sie staunend auf ihrer ersten Tour die riesigen Stadien betrachtete. Damals in Vegas, in dieser kleinen Hochzeitskapelle…. Als sie ihm sagte, sie wäre schwanger….. Die Bilder rasten vor seinen Augen vorbei, überlagerten sich, wurden undeutlich, wurden wieder scharf.

Er holte tief Luft. Es war so schwer.
Wie durch Watte hörte er mit einem Mal ihre Stimme. Ihre Stimme, wenn sie stritten. Ihr Kreischen, ihre Hysterie. Ihre Hass-Mails, die sie ihm geschickt hatte. Ihre Kontrollen…. Wie sie sein Handy checkte, seine Mails heimlich las….
Kopfschüttelnd versuchte er, die bösen Gedanken zu vertreiben. Mit fahrigen Händen fuhr er durch seine Haare.

Da, plötzlich tauchte dieses andere Gesicht vor ihm auf, von hellen Locken umrahmt, lächelte sie ihn liebevoll an. Rasch griff er in seine Jackentasche und tippte auf seinem Handy auf den Icon „Pictures“.

Was er dann ansah, holte ihn endgültig in die Wirklichkeit zurück. Als er Sandy sah, wunderte er sich über sich selbst und er schalt sich mit einem tonlosen „Ich bin so ein Vollidiot !“ Noch ein paar Minuten, nur ein paar winzige Minuten wollte er sich noch in die Fotos vertiefen…..

Abermals holte er tief Luft und wusste, was er fühlte. Es war Wehmut. Einzig und allein Wehmut. Eine Traurigkeit, die jeder Mensch fühlen musste, der eine Beziehung von so vielen Jahren beendete. Ein wenig Mitleid mit sich selbst, ein wenig Mitleid für seine Frau und ein wenig Mitleid um die zerbrochene Familie, die er nun hatte. Aber vor allem ein schlechtes Gewissen wegen seiner Kinder. Und doch wusste er, es war der einzig richtige Weg.
Dann ging er zurück.

Dorothea hatte ihren großen Auftritt.

Mittwoch, 27. Januar 2010

Kapitel 248

Szenenwechsel:

Jon stand früh auf, er hatte in dieser Nacht so gut wie gar nicht geschlafen. Nach dem Duschen schlüpfte er in eine frische Jeans und zog sich ein weißes Hemd über. Rosita hatte bereits sein Frühstück vorbereitet und nun saß er an der Theke, die Zeitung vor sich ausgebreitet. Bis er fliegen würde, hatte er noch jede Menge Zeit. In einen Bericht über verschiedene Wohltätigkeitsorganisationen vertieft, hörte er zunächst nicht, dass sein Handy klingelte. Er griff danach und als er sah, wer anrief, hatte er augenblicklich Herzklopfen. Mit einem Strahlen im Gesicht hob er schnell ab.

„Schatz, ich bin fertig ! Der Container ist beladen, die Wohnung ist so gut wie leer !“
„Hey, das freut mich ! Dann kommst Du also bald ?“

„Na ja, ein paar Tage wird`s wohl noch dauern. Ich hab Tanja versprochen, ihr zu helfen ihre Sachen von München zu holen.“

„Du passt aber auf Dich auf ?“

„Hab ich Dir doch versprochen !“

„Du weißt, ich krieg das raus !“

„Ja ja, ich weiß schon. Sag mal, heute ist doch das Treffen mit Deinen Anwälten ?“

„Yep.“

„Wie geht`s Dir ?“

„Wenn ich ehrlich bin, wäre es mir lieber, ich befände mich schon auf dem Rückflug. Das einzige, was mich aufrecht hält, ist, dass ich vielleicht meine Kids sehen werde.“

„Mhhh…“ kam von ihr.

Sie schwiegen kurz.

„Weißt Du, was ich irgendwie komisch finde ?“ fragte sie etwas atemlos.

„Was denn Süße ?“

„Na ja… Du hast heute diesen wichtigen Termin und ich räum hier alles aus.“

„Wir sind wohl dabei, unser Chaos zu ordnen.“

„Sieht so aus.“

Wieder schwiegen sie.

„Hör mal, Dorothea wird dabei sein.“

Sie antwortete nicht gleich und er wusste, dass sie sich genau überlegte, was sie sagen würde.

„Das ist vielleicht ganz gut so. Vielleicht weißt Du dann gleich, was sie wirklich will.“

„Könnte sein, glaube ich aber nicht.“

„Hey Schatz ! Jetzt mal nicht so schwarz. Sie hatte ja auch Zeit, das Ganze zu überdenken. Ganz bestimmt hat sie das Interview gesehen und sie weiß, dass Du ihr nichts Böses willst.“

„Du gehst von einer Frau aus, die sich in einem normalen Zustand befindet. Davon ist Dorothea meilenweit entfernt. Ich kenn sie gut genug. Sie ist verletzt, sie ist beleidigt, sie ist wütend. Und sie sinnt auf Rache.“

„Aber das ist doch ganz normal ! Fast jede Frau würde so reagieren.“

„Mhhh…“ kam nun von ihm.

„Vielleicht geht das heute auch ganz gut aus.“

„Du bist eine rettungslose Optimistin !“

„Die Hoffnung stirbt zuletzt !“

„Ich weiß.“

Es fiel ihm schwer, ihre Hoffnung zu teilen. Er kannte seine Ex, obgleich er niemals erwartet hätte, dass sie mit ihrem Schmerz so offensiv umgehen, so an die Öffentlichkeit gehen würde. Sandys Stimme klang unglaublich warm, als sie weiter sprach.

„Jon, ich bin in Gedanken bei Dir. Ich wünsche Dir alles Gute und vor allem viel Glück und Kraft.“

„Danke, Honey. Was würde ich nur ohne Dich tun ?“

Auf seinen lauten Seufzer hin lachte sie leise auf.

„Zu Richie gehen und Dich bei ihm ausweinen ?“

„Und wie auf Kommando erscheint er hier in der Küche ! Es ist doch nicht zu fassen !“

„Dann lasst Euch von mir nicht stören. Er will Dir bestimmt auch noch Mut zusprechen. Grüß ihn lieb von mir.“

„Mach ich. Ich liebe Dich.“

„Ich liebe Dich auch, Jon.“

Sie knutschte vermutlich den Hörer, denn er konnte zwei laute Schmatzer vernehmen.

„Bye.“

Ihr Bye war nur mehr ein leises Hauchen und er wusste, sie hatte Tränen in den Augen. Er legte auf. Betrübt wandte er sich Richie zu und begrüßte ihn. Dieser sah ihn mitleidig an.

„Hi. Soll ich vielleicht nicht doch mit Dir kommen ?“

„Nein, ist schon gut. Ich muss da alleine durch.“

Jon sah mit leerem Blick zu Boden.

„Scheiß Situation,“ sagte Richie leise. „Ich wünschte, ich könnte Dir das abnehmen.“

„Selbst wenn das gehen würde…. das könnte ich nie von Dir verlangen.“

Die beiden schwiegen einen Augenblick.

„Wie geht`s Sandy ?“

„Sie kommt gut voran. Aber sie wird noch einige Tage brauchen.“

„Irgendwie ist es total langweilig hier, ohne sie.“

Jon lachte auf und antwortete ihm mit einer gehörigen Portion Sarkasmus.

„Echt ? Findest Du ? Ist mir noch gar nicht aufgefallen.“

Richie knuffte ihn mit der Faust in die Seite und lachte ebenfalls.

„Also, wenn Du willst: mein Angebot steht.“

„Nein Rich. Ich pack das schon. Es wird zwar unangenehm werden, aber auch dieser Tag geht vorbei.“

Sie umarmten sich und Richie klopfte ihm leicht mit der Hand auf den Rücken. Ein paar Minuten später läutete es an der Tür. Sie umarmten sich noch kurz. Jon griff nach der kleinen Reisetasche, er hatte für ein paar Tage das Nötigste eingepackt und stieg in die Limousine, die ihn zum Flughafen bringen würde. Dort angekommen, ging er mit weit ausholenden Schritten durch die Hallen und setzte sich auf einen Drink an die Bar in der VIP-Lounge. Er beobachtete die Menschen um sich herum und hätte nur allzu gerne mit ihnen getauscht. Den fröhlichen Gesichtern nach zu urteilen, hatten sie weitaus schönere Dinge vor, als er. Nachdenklich trank er den Whiskey on the rocks aus und erhob sich, als der Flug aufgerufen wurde.

Dienstag, 19. Januar 2010

Kapitel 247

Szenenwechsel:

Eine knappe Woche war vergangen und wir hatten es tatsächlich geschafft, meinen Krempel bis auf ein paar Kleinigkeiten in den Kartons zu verstauen. Die Kommoden und das Tischchen waren bereits sicher mit Luftpolsterfolie und fester Pappe umhüllt und standen zum Verladen bereit. Wir waren gerade im Begriff, den 300 Jahre alten Schrank abzubauen, als mir ganz unten mein Schatzkästchen in die Augen fiel. Mit zitternden Fingern griff ich danach. Tanja bedachte mich mit einem neugierigen Blick.

„Deine Geheimnisse ?“ fragte sie grinsend.

„Ja.“

„Auch dunkle Geheimnisse ?“

„Auch das.“

Ich hob den Deckel hoch und als erstes fiel mir das Kreuz in die Hände, dass Tini damals Joe und mir geschenkt hatte.

„Hey, ist das schön ! Warum trägst Du das denn nicht ?“

Sie hatte es mir aus der Hand genommen und betrachtete es mit glänzenden Augen.

„Öffne es, dann weißt Du warum.“

Sie klappte es auf und als sie die Gravur gelesen hatte, stand auch ihr Mund auf.

„Okay, ich verstehe.“

Wir legten es zurück und das Kästchen wanderte in einen der Kartons.
Missmutig sah ich mich um. Jon hatte sich in den letzten Tagen nur sehr selten gemeldet, auch ich hatte nicht oft angerufen. Durch die Zeitverschiebung war es sehr schwierig, einander zu erwischen und so beschränkten wir uns auf wenige SMS. Instinktiv spürte ich, dass er seine Ruhe brauchte. Ich wollte ihn nicht ablenken oder beeinflussen, bei dem was vor ihm lag.

Nun machten wir uns daran, den Schrank auseinander zu nehmen. Da dieser schon so alt war, war er nicht wie die heutigen verschraubt, sondern durch ein raffiniertes System aus hölzernen Keilen eben miteinander verkeilt. Und wenn diese Keile eine Zeitlang zusammengepresst waren, gingen sie nicht wieder so schnell auseinander. Wir schafften es nicht. Ich rief bei meinen Eltern an und Dad versprach, sofort vorbei zu kommen. Er brachte seinen Freund Bill mit und bei den beiden war es nur eine Sache von Minuten, bis die ersten Teile auseinander waren. Nur kurze Zeit später war auch das ordentlich und sicher verpackt und Tanja griff nach dem Staubsauger. Ich trat auf die Terrasse und zündete mir eine Zigarette an. Morgen würde der Container geliefert werden.

Sonntag, 10. Januar 2010

Kapitel 246 - Erzählungen und Gedanken

Tanja kam mit dem Essen zurück und wir machten es uns vor dem Fernseher bequem. Ich erzählte ihr kurz von meinem Telefonat, bevor wir uns hungrig über die Köstlichkeiten her machten. Sie hatte knusprige Ente mit Gemüse, natürlich Reis, Frühlingsrollen und einen zuckersüßen Nachtisch mitgebracht. Nach dem Essen zeigte ich ihr die Schuhe, und sie grinste nur.

„Jetzt möchte ich mal wissen, ob auf dieser großen, weiten Welt noch so ein Prachtexemplar von Mann herum rennt. Wenn Du so einen siehst, fessle und kneble ihn, setz Dich auf ihn drauf, damit er nicht abhauen kann, ruf mich an, ich bin sofort da !“

Als ich ihren ironischen Blick sah, brach ich in schallendes Gelächter aus.

„Du hast doch einen, eigentlich hast Du mir erzählt, dass Du verliebt bist, nach El Hierro gehen wirst….“

„Jaaa ! Wer weiß, ob das was wird….“ orakelte sie vor sich hin.

„Was soll denn das heißen ? Bist Du Dir nicht sicher ?“

Ihrem gespielt verzweifelten Gesicht nach war sie alles andere als das. So fragte ich genauer nach.

„Na los, red schon !“

„Ich bin mir tatsächlich nicht sicher. Er sieht so gut aus, er ist so liebevoll, so nett, so ….. Ach, einfach alles ! Ich kann einfach nicht glauben, dass dieser Mann sich tatsächlich für mich interessiert. Und ob er treu ist…. Er kommt ja auch soviel in der Weltgeschichte herum, und in den Galerien arbeiten immer so hübsche Mädels…“

„Du machst Dir zu viele unnötige Gedanken !“

„Ganz genau ! Ich hatte ja auch schon eine Unmenge funktionierende Beziehungen !“

Ihre Worte troffen nur so von Ironie. Ich ging zu ihr und nahm sie tröstend in meine Arme.

„Denk nicht soviel nach ! Wenn er mit Dir dorthin ziehen will, hat er sich das bestimmt gut überlegt. Das macht man doch nicht so einfach !“

„Schon, aber wenn ich ihn manchmal so sehe, wie er mit anderen Frauen spricht, mit ihnen umgeht…“

Ich hielt sie fest umarmt und strich beruhigend über ihren Rücken. Das ungute Gefühl einer dunklen Vorahnung beschlich mich.

Am nächsten Morgen hängte ich die Bilder ab und mit aller Macht kamen die Erinnerungen hoch.
Tini und ich als kleine Gören…. wir zwei mit unseren Zahnlücken, vorne genau in der Mitte…. bei unserer Konfirmation…. auf unseren ersten Feten als Teenager…. Bilder mit Tanja auf den Bon Jovi-Konzerten…. unsere Clique…. wir drei Mädels betrunken auf meiner Terrasse…. die Collagen mit meinen Jungs von den eigenen Gigs…..
In dem Moment wurde mir klar, was es heißt „sein Leben einzupacken“.
Tanja trat hinter mich und legte vorsichtig eine Hand auf meine Schulter.

„Na ? Ist es schwer ?“

„Ja, ziemlich.“

„Soll ich das für Dich machen ? Ist vielleicht besser ?“

Ich nickte nur und wandte mich ab. Geschirr einzuwickeln war sicherlich einfacher. Rasch wischte ich mir über die Augen und sah mich nach dem Seidenpapier um.
Doch auch in der Küche fielen mir immer wieder Situationen ein, die ich in diesem Raum erlebt hatte. Meine Küche war quasi die Homebase der Band gewesen. Vor jedem wichtigen Termin hatte ich für uns hier gekocht, nach den Auftritten waren wir fast immer hier gelandet, um ein frühmorgendliches Vesper einzunehmen. Jon hatte hier seine ersten Rindsrouladen gegessen.
„Sandy hat zuhause Rinderral… wie hieß das noch ?“
Ich lachte laut auf, als mir einfiel, wie er später Richie davon erzählt hatte.

„Alles okay bei Dir ?“ fragte Tanja besorgt.

„Ja, alles okay. Mir sind nur ein paar lustige Dinge eingefallen.“

Sie sah mich prüfend an.

„Soll ich vielleicht frischen Kaffee aufsetzen ? Gefrühstückt haben wir auch noch nicht.“

„Keine schlechte Idee.“

Als wir so da saßen und uns mit Marmelade- und Nutellabrötchen voll schaufelten, kam mir eine Idee.

„Willst Du vielleicht einen Teil meiner Möbel übernehmen ?“

„Welche denn ?“ fragte sie überrascht.

„Na ja, meine ollen Dinger wie den Schrank, die Kommoden und das Tischchen von meiner Uromi nehme ich mit. Aber den Tisch hier, die Stühle, das Schlafzimmer könntest Du haben. Und nicht zu vergessen, das Wohnzimmer, die Küche….“

„Hey Süße, das wäre echt toll !“

Vor Freude fiel sie mir um den Hals.

„Allerdings unter einer Bedingung.“

„Und die wäre ?“

„Du kommst mich so oft wie möglich in den Staaten besuchen.“

„Aber nur, wenn Du zu mir auch nach El Hierro kommst ?“

„Versprochen !“

Szenenwechsel:

Jon rieb sich verschlafen die Augen. Verwirrt sah er sich um. Ah, das Studio. Er rieb sich den schmerzenden Nacken und ließ seinen Blick schweifen. Seine Gitarre lag auf der Couch, die Teetasse hatte er auf dem Klavier umgeworfen, seine Notizzettel lagen zerknittert vor ihm. Langsam richtete er sich auf und stemmte die Hände in den ebenfalls schmerzenden Rücken. Er hatte bis spät in die Nacht an diesem Song herumgebastelt und irgendwann in den frühen Morgenstunden war er vermutlich über das Klavier gebeugt eingeschlafen. Müde und bis in den letzten Muskel verkrampft schlurfte er nach oben. Eine heiße Dusche würde hoffentlich Wunder wirken.

Bei seinem Gang durch das Haus fiel ihm die Stille unangenehm auf. Was für ein Unterschied zu den vergangenen Wochen ! Da hatte das Haus gelebt, ständig war von jemand was zu hören gewesen. Ob in der Küche, auf der Terrasse oder im Garten. Nun war er alleine hier.

In der Küche machte er sich einen Cappuccino und sah auf das Display seines Handys. Enttäuscht legte er es wieder zurück. Sie hatte sich nicht gemeldet.
Er schwang sich auf einen der Hocker und sah in den Garten hinaus. Langsam aber sicher beschlich ihn das Gefühl, dass dieses Haus für ihn alleine zu groß war. Früher war ihm das nicht so aufgefallen, aber jetzt, nach dem Trubel der letzten Monate….
Schweigend trank er den Kaffee aus, hielt die Tasse jedoch noch einige Momente unschlüssig in seinen Händen. Am liebsten würde er die Zeit zurück drehen. Sie alle zurückholen, vor allem Sandy. Ihr Lachen, ihr Herumgeflitze, ihre Macken, sogar ihre Frotzeleien fehlten ihm. Ihm graute davor, alleine im Bett zu schlafen. Er vermisste sie schrecklich und er würde sich weitaus besser fühlen, wenn sie in dieser Situation hier wäre.
Morgen würde er nach New York fliegen.

Donnerstag, 7. Januar 2010

Kapitel 245

Hallo,

ich wünsche Euch allen ein gesundes, glückliches und ganz tolles neues Jahr ! Auf dass all Eure Wünsche und Träume in Erfüllung gehen möchten.

Liebe verschneite Grüße
Eure Missi


„Du hast die Überraschung also gefunden. Hoffentlich passen sie ! Ich weiß nicht, ob Du jetzt Zeit zum Laufen findest. Verzeih mir den Ausraster von neulich, es war nicht so gemeint. Wenn Du wieder hier bei mir bist, können wir das ja auch zusammen machen. Ich liebe Dich !“

Die Tränen liefen mir über das Gesicht. Ich war so gerührt ! Wie in aller Welt hatte ich diesen Mann nur verdient ? Schnell löste ich die Schnürsenkel und probierte sie an. Vor dem Spiegel im Flur drehte ich mich nach allen Seiten, wippte auf den Zehenspitzen hin und her, rollte die Füße ab. Sie passten wie angegossen.
Ich lief zum Telefon und wählte seine Nummer. Um diese Zeit war er sicherlich schon auf. Es klingelte nur dreimal und schon nahm er ab.

„Babe….“

„Jon, ich…. Du bist echt irre…. die Schuhe…. der Zettel….“ stammelte ich.

„Passen sie denn ?“ unterbrach er mich und ich konnte deutlich hören, wie er sich über mich amüsierte.

„Wie für mich gemacht !“

„Heulst Du etwa ?“

„Ja, weil Du so süß bist !“

„Ich bin süß ?“

„Ja !“ schluchzte ich und er quittierte es mit seinem Lachen.

„Komm, das ist doch nichts !“

„Doch ! Finde ich schon ! Jetzt hab ich Dich trotzdem ein klein wenig hier !“

„Du hättest mich auch ohne die Schuhe bei Dir ! Ich denke nämlich die ganze Zeit an Dich ! Und wenn du nicht bald zurückkommst, dreh ich hier noch am Rad.“

„Ich vermisse Dich so schrecklich !“

Mittlererweile waren alle Dämme bei mir gebrochen und ich weinte hemmungslos.

„Honey, ich vermisse Dich auch.“ Er seufzte laut auf. „Wie läuft`s denn bei Dir ?“

Schluchzend berichtete ich ihm von Tanja, wie weit wir waren, dass sie die Wohnung für die nächsten Monate übernehmen würde.

„Das hört sich doch gut an. Hoffentlich klappt das mit dem Container auch termingerecht. Wir hatten damit schon einige Probleme. Aber Du lässt die schweren Sachen sein, hörst Du ?“

„Beim Möbel einladen muss ich ja nicht unbedingt dabei sein. Außerdem ist Tanja da. Sie übernimmt das sicher gerne für mich.“

„Hauptsache, Du kommst bald wieder her. Du kommst doch ?“

Ich hielt inne. Seine Stimme klang plötzlich sehr ernst.

„Nur weil Du mich runaway nennst, muss ich das noch lange nicht sein. Natürlich komme ich !“

„Tini hat es verraten ?“

„Ja, hat sie.“

„Süße, es ist nicht böse gemeint. Es drückt nur das aus, vor dem ich am allermeisten Angst habe.“

Wieder hörte ich, wie er laut Luft holte.

„Jon ! Ich packe hier mein Leben zusammen, weil ich den Rest davon mit Dir verbringen will.“

„Es war dumm von mir, daran zu zweifeln. Bitte verzeih !“

„Ich liebe Dich, das weißt Du !“

„Ich weiß, Babe.“

Als ich aufgelegt hatte, wurde mir bewusst, dass er tatsächlich in Betracht gezogen hatte, dass ich nicht zu ihm kommen könnte. Ich schüttelte den Kopf. Irgendwie hatten wir beide dieselbe Angst.
Um mich abzulenken, betrachtete ich die Schuhe genauer. Sie waren mit einer Gel-Einlage gedämpft und gerade das war seit meinem Sturz sehr wichtig. Im Park nahe seinem Haus gab es nur Asphalt- beziehungsweise Schotterwege. Die sind unerbittlich, da sie keinen Millimeter nachgeben. Im Durchschnitt prallt der Fuß beim Laufen mit dem drei- bis fünffachen des Körpergewichtes ungefedert auf. Und das musste aufgefangen werden, um die Gelenke nicht zu sehr zu belasten. Auch an der Ferse waren die Schuhe so ausgestattet, dass der Fuß hinten nicht hoch rutschen konnte. Jon hatte sich bei der Auswahl wirklich Gedanken gemacht.