Mittwoch, 30. September 2009

Kapitel 224

Lächelnd fasste er mich übermütig an der Hand und zog mich mit sich. Anscheinend hatte er seine nächtliche Eskapade unbeschadet überstanden, er war wie ausgewechselt und ganz der Alte. Strahlend, charmant, jungenhaft und unglaublich süß. Einfach mein Jon !

Mit großen Schritten eilte er voraus, gerade so, als habe er Angst, etwas zu verpassen. Lachend ließ ich ihn gewähren, obwohl ich einige Mühe hatte, ihm zu folgen. In der Garage hielt er mir zuvorkommend die Tür auf, fasste nach meiner Hand, um mir beim Einsteigen zu helfen. Wir fuhren mit einigem Tempo die Auffahrt hinunter, wo sich das elektrische Tor gerade zu öffnen begann. Es stand gerade so weit offen, dass der Wagen durchpasste und Jon preschte hinaus. Er schaute nur kurz nach dem Gegenverkehr und gab Gas. Und wie er Gas gab ! Die Fotografen hatten keine Chance und erwischten uns zu unserer Schadenfreude nur von hinten. Vermutlich hatten sie nicht einmal sehen können, wer überhaupt im Auto saß.
Jon grinste mich triumphierend an.

„Jaaa !“ lachte ich. „Du bist mein Held !“

„Schwör`s !“ verlangte er.

„Du weißt, dass ich Dir beinahe alles schwöre !“

„Alles ?“

„Ich sagte ‚beinahe’ alles !“

„Und was schließt ‚beinahe’ aus ?“

„Das musst Du leider selbst heraus finden.“

Der Blick, den er mir von der Seite zuwarf, so verführerisch und dabei liebevoll, hätte mir die Beine einknicken lassen, wenn ich denn nicht gesessen hätte. Leichtes Herzklopfen machte sich bei mir bemerkbar und ich war ziemlich nervös. Wie schaffte er es nur immer wieder, dass ich mich wie ein schüchterner Teenager fühlte ?
Er fuhr auf den Highway, leise Musik klang aus dem Autoradio und wir beide hingen unseren Gedanken nach. Mittlererweile war es vollkommen dunkel geworden, die vorbei ziehende Landschaft war nur schemenhaft zu erkennen.

Ich beobachtete ihn heimlich von der Seite, versuchte, in seinem Gesicht zu lesen. Vor wenigen Stunden hatte er mich wegen meiner Lauferei angeschrieen, war abgehauen, hatte sich vollaufen lassen. Nun saß neben mir der Jon, den ich so liebte. Fast kam mir das Erlebte wie ein schlechter Traum vor, und doch war das alles geschehen. Vielleicht war das bei ihm so, diese Stimmungsschwankungen. Vielleicht war es aber nur wegen der Situation, in der er sich befand, so. Er hatte die Scheidung eingereicht, seine Frau machte unwahre Aussagen gegenüber der Presse, er hatte sich gegenüber den Medien bloß stellen, seine Gefühle offenbaren müssen, die Fotografen jagten, belagerten uns. Und das allerwichtigste: seine vier Kinder.
Und irgendwo dazwischen war ich.
Ich seufzte unbewusst auf.

„Fühlst Du Dich nicht wohl ?“ fragte er besorgt.

„Doch, doch. Es ist alles okay.“

„Warum glaub ich Dir nicht ?“

Ich sah ihn nur kurz an, da er sonst sowieso wieder meine Gedanken lesen würde.

„Süße, wir sind gleich da. Lass uns einen guten Wein bestellen und reden. Okay ?“

„Okay !“

Er legte seine Hand auf meine Hand und streichelte sie leicht.
Nur wenige Minuten später nahm er die Ausfahrt und bog auf eine schmale Landstraße ein. Wir fuhren durch eine hübsche Kleinstadt, mit gepflegten Häusern, vielen Bäumen. Schließlich passierten wir einen Platz, den wir umrundeten, bevor er wieder abbog. Kurz darauf wurden die Häuser immer weniger, bis er vor einem Landhaus, das einem englischen Cottage sehr glich, anhielt.

„Wir sind da !“ lächelte er geheimnisvoll.

Jon stieg rasch aus, umrundete das Auto und hielt mir galant die Tür auf. Sanft nahm er meine Hand und half mir beim Aussteigen.
Eng umschlungen gingen wir auf das Restaurant zu. Kleine Laternen baumelten im leichten Wind und tauchten den mit Natursteinen gepflasterten Weg in ein goldenes Licht. Das Haus war über und über mit Efeu und blühenden, rankenden Pflanzen bewachsen und lud auf eine anheimelnde Art zur Einkehr ein. Die Eingangstür war aus massivem Holz gefertigt und hatte mindestens ein Jahrhundert auf dem Buckel. Jon drückte den schweren Griff hinunter und hielt sie lächelnd und mit einladend ausgestrecktem Arm auf. Ich ging an ihm vorbei hinein und war von Anfang an begeistert.

Die Wände waren grob weiß verputzt, so wie in alten Bauernhäusern. Die Holzdecke wurde von schweren, dunklen und sicherlich uralten Balken getragen. Die kleinen Butzenfenster waren mit weißen, gehäkelten Vorhängen dekoriert und überall standen Antiquitäten. Die Tische und Stühle waren ebenfalls aus dunklem Holz und rustikal. Geschmückt waren sie mit schweren, metallenen Kerzenleuchtern, die man sonst eigentlich eher auf einer Ritterburg vermutet hätte.

„Jon !“ erklang eine Stimme voller Freude.

Wir drehten uns um. Ein Mann kam mit strahlendem Gesicht und ausgebreiteten Armen auf uns zu, doch sein Blick galt nur Jon.

Montag, 28. September 2009

Kapitel 223

„Paahhh ! Ist das widerlich !“

Er schnappte immer noch nach Luft, irgendwie erweckte er den Eindruck, als ob er kurz vor dem Erstickungstod wäre.

„Willst Du mich umbringen ?“ keuchte er.

„Nein Schatz. Ganz sicher nicht ! Glaub mir, in wenigen Minuten geht`s Dir besser.“

Ich füllte ein sauberes Glas mit Wasser und streckte es ihm hin. Gierig griff er danach und trank es leer. Wortlos gab er es mir zurück, um es wieder aufzufüllen. Das ging dann so lange weiter, bis er fast zwei Liter weggeschluckt hatte.

„Entschuldigt mich.“

Jon stand auf, als ob es um Leben und Tod ginge und ging mit weit ausholenden Schritten ins Haus zurück.

„Toilette ?“ fragte Tini grinsend.

„Toilette !“ gab ich ihr ebenso grinsend zurück.

Meine Mam sah mich fragend an.

„Was hast Du ihm denn zusammen gemixt ?“

„Mein Spezialrezept für einen Riesen-Kater.“

„Was war da drin ?“ fragte sie nach.

„Mam, das willst Du ganz sicher nicht wissen !“

„Aber es wird ihm doch helfen, oder ist das einer Deiner Scherze ?“

„Nein, es ist kein Scherz. Sei mal ganz ruhig. Es ist wirklich ekelhaft zu trinken, aber es hilft dem Körper und vor allem macht es einen wahnsinnig durstig. Man trinkt mehr und das viele Wasser spült die Giftstoffe schneller aus dem Körper.“

„Und Du Tini kennst das natürlich auch !“

„Ja natürlich ! Das hat mir früher oft geholfen. Es ist zwar eine Rosskur, und man meint, das letzte Stündchen hätte geschlagen. Aber ratzfatz ist man wieder fit.“

„Na, dann ist ja gut. Und ich dachte schon, Sandy hätte sich wieder mal mit einem ihrer Streiche gerächt.“

„Mam !“ gab ich ihr vorwurfsvoll zurück.

„Jetzt tu nicht so unschuldig ! Wäre ja schließlich nicht zum ersten Mal !“

„Na, ich glaube, das würde sie bei Jon nicht machen. So, wie sie ihn liebt !“ verteidigte Tini mich und sah mich lächelnd an.

„Außerdem bin ich ja ein bisschen mit schuld daran, dass er sich so zugerichtet hat.“

Ich stand auf und entschuldigte mich, da ich nach ihm sehen wollte. Zuerst schaute ich im Gästebad im Erdgeschoss nach, doch da war er nicht. In der Küche auch nicht. Also ging ich die Treppen nach oben, da ich ihn im Schlafzimmer vermutete. Und da lag er, einen Arm über seine Augen gelegt, auf dem Bett. Als er mich bemerkte, lächelte er hilflos.

„Ist es so schlimm ?“ fragte ich vorsichtig.

„Mein Magen dreht sich und mir ist fürchterlich schlecht. Ich bleib besser liegen.“

Sein Gesichtsausdruck brachte mich fast zum Lachen. Mit einem flehenden Blick streckte er die Arme nach mir aus.

„Kannst Du nicht was machen, damit es aufhört ?“

„Nein Süßer, da musst Du jetzt wohl durch.“

Ich legte mich neben ihn und nahm ihn in die Arme. Er legte seinen Kopf an meine Brust und kuschelte sich eng an mich. Sanft strich ich über seine Haare und nahm ihn in meine Arme. Kurz darauf ging sein Atem gleichmäßig und flach. Ich hob meinen Kopf etwas und sah, dass er eingeschlafen war. Da die Nacht für mich ja noch kürzer gewesen war, gab ich meinen flatternden Augenliedern nur zu gerne nach und döste sofort ein.

Der Sonnenuntergang tauchte das Schlafzimmer in ein unwirkliches, goldenes Licht. Sanfte Schatten lagen auf den Möbeln und die Palmen vor dem Haus wiegten sich sachte im Wind. Behutsam schob ich seinen Arm von mir. Leise stand ich auf, ging auf den Balkon und sah in den traumhaften Garten unter mir. Auf dem kleinen Tischchen neben den Sonnenliegen lag ein Päckchen Zigaretten. Ich zündete mir eine an und inhalierte genussvoll.

„Krieg ich auch eine ?“

Jon stand hinter mir, nur mit seiner Jeans bekleidet und barfuss. Die Haare waren verstrubbelt und sein Gesicht zerknittert aber er sah trotz allem umwerfend aus.

„Meinst Du, Du verträgst das schon ?“ fragte ich grinsend.

„Wir werden sehen !“ grinste er zurück und angelte nach der Packung.

„Geht`s Dir besser ?“

„Jep ! Ich fühle mich wie neu geboren ! Dein Höllendrink ist zwar echt fürchterlich, aber er hilft. Was war da alles drin ?“

„Verrat ich nicht ! Ist mein Geheimnis !“

Ein kurzes Lächeln huschte über sein Gesicht, dann wandte er sich ab.
Schweigend rauchten wir. Ich wagte nicht irgendwas zu sagen, denn ich spürte instinktiv, dass er nachdachte und darin so selbstvergessen war, dass ich nur gestört hätte. Als wir die Kippen ausgedrückt hatten, zog er mich in seine Arme und drückte seinen Kopf in meine Halsbeuge. Sanft hauchte er kleine Küsse darauf. Nach ein paar Minuten hielt er mich plötzlich von sich weg und strahlte mich an.

„Weißt Du, was wir jetzt machen ?“

Überrascht sah ich auf.

„Wir ziehen uns um und fahren raus auf`s Land. Ich kenne ein kleines, verschwiegenes Lokal, wo das Essen einfach fantastisch ist. Okay ?“

„Wenn wir es schaffen, aus der Einfahrt rauszukommen….“ erwiderte ich zweifelnd, denn die Pressemeute belagerte das Anwesen immer noch. Es war zwar nicht mehr ganz so schlimm wie bei der Ankunft nach unserem Urlaub, aber trotzdem konnte nicht mal eine Spinne die Einfahrt passieren, ohne dass sie gesehen wurde.

„Mach Dir keine Gedanken, das funktioniert schon.“

Ich nickte nur und ließ mich von ihm wieder ins Schlafzimmer ziehen. Ich ging ins Bad, um mich frisch zu machen, suchte dann nach meiner Lieblingsjeans und meinem schwarzen Top. Noch schnell in meine schwarzen, hohen Stilettos geschlüpft, fertig.

„Mann, siehst Du lecker aus !“ Jon pfiff anerkennend durch die Zähne und sah mich unverschämt an. Mit dem selben unverschämten Blick musterte ich ihn.

„Das Kompliment kann ich nur zurückgeben !“

Er trug ein schwarzes, enges Shirt und dazu eine weiße Jeans, die unten etwas ausgestellt war.

„Na dann los !“

Montag, 14. September 2009

Kapitel 222

Er presste die Hände vor den Mund und sprang ratzfatz aus dem Bett. Nur in Unterhose und Shirt rannte er Richtung Bad und ließ mich kurz darauf an Geräuschen teilhaben, die ich von meinem Rockidol auf einem Marmorsockel mit goldenen Lettern garantiert niemals hören wollte. Das Mitleid überwog jedoch kurz darauf später und so ging ich ihm nach.
Der säuerliche Geruch von Erbrochenem brachte mich auf den Gedanken, mit Jon die Kloschüssel an der er hing, zu teilen. In meinem Kopf ertönte kurz das „Contenance !“ von meiner Mam. Also straffte ich die Schultern, atmete so gut es eben ging durch und legte meinen Arm um die Schultern des Häufchen Elends. Mit der einen Hand versuchte ich ihn zu stützen und drückte die andere flach gegen seine Stirn. Geduldig wartete ich, bis alles aus seinem Magen war und angelte nach einem Waschlappen von der Kommode, mit dem ich ihn etwas säuberte. Er blieb auf dem Boden sitzen, lehnte sich erschöpft an die Wand und atmete tief durch. Selbst in diesem erbärmlichen Zustand schenkte er mir ein Lächeln. Ein sehr hilfloses, unbeholfenes, entschuldigendes. Ich lächelte zurück.

„Sorry, dass Du mich so sehen musst, aber….“

„Schon okay, ist mir auch schon passiert.“

Er sah mich lange an und mit diesem Blick fiel mir wieder ein, warum er überhaupt in diesem Zustand war.

„Jon, ich….“

„Lass uns nachher drüber reden, okay ?“

„Okay.“

„Ich glaube, ich gehe mal besser duschen.“

„Ja !“ lachte ich. „Besser wär das ! Ich geh dann mal nach unten und mach Dir einen Kaffee, okay ?“

„Wäre ganz gut, danke Süße !“

Sein Shirt und seine Unterhose wanderten noch schnell in den Wäschekorb und ich ließ ihn im Bad zurück. Im Schlafzimmer hing immer noch dieser abgestandene Muff in der Luft und so machte ich mich daran, die Kissen und die Decken abzuziehen. Ich hatte die Sachen gerade ins Bad gebracht und die restlichen Fenster weit aufgerissen, als ein leises Klopfen ertönte.

„Ja ?“ fragte ich.

Die Tür ging langsam und vorsichtig auf und Richie lugte herein.

„Guten Morgen, Kleine !“

„Hallo, großer Bruder !“

Er lächelte mich mit seinem sonnigen Lächeln an und nahm mich kurz in die Arme.

„Ahh, er duscht ?“

„Ja, und ich hoffe, kalt !“

„Das hat er auch nötig !“ lachte er. „Wie geht`s Dir ?“

„Noch ein wenig müde, ein wenig k.o. Bleibst Du zum Frühstück ?“

„Wenn das eine Einladung war, sehr gerne. Du weißt ja, dass ich am allerliebsten bei Euch tafele !“

Nachdem ich die Betten frisch überzogen hatte, machten wir uns auf den Weg zur Küche, wo uns Rosita sogleich auf die Terrasse hinausschickte. Dort saßen bereits meine Eltern und unterhielten sich angeregt mit Tini und Tom. Stefan war bereits angekommen und wir nahmen uns herzlich in die Arme. Meine Mam sah mich prüfend an und ich sagte gleich, um unnötige Diskussionen zu vermeiden:

„Es ist nix schlimmes passiert, Jon war betüdelt und Richie und ich haben ihn abgeholt. Er ist gerade duschen und kommt gleich runter.“

„Er war betrunken ? Ihr habt ihn abgeholt ? Wusstet Ihr denn, wo er war ?“

Ich hatte es geahnt. Ich hätte das Gespräch wahrscheinlich vorhersagen können.

„Richie wusste, wo er sein könnte und wir sind dann hingefahren und haben ihn
eingeladen.“

„Ja, aber warum hat er sich vollaufen lassen ?“

„Mam !!!!“

„Ist ja schon gut ! Ich frag ja schon nix mehr !“

„Können wir dann in Ruhe essen ?“

Ich schenkte Richie und mir Kaffee ein und machte mir ein Brötchen mit Marmelade. Tini erzählte, da sie sonst vermutlich geplatzt wäre, die Neuigkeiten unserer Band, der geplanten Tour, den Terminen wegen der Promotion. Man konnte ihr anmerken, wie aufgeregt sie ob der Neuigkeiten war, die auf uns alle zukommen würden. So langsam aber sicher wurde mir bewusst, dass das unser aller Leben weiter verändern würde. Heute morgen dachte ich, wir wären lediglich bei ein paar kleineren Talk-Shows eingeladen, wir würden nur ein paar Konzerte geben. Die Wirklichkeit sah jedoch ganz anders aus.

Wir waren für Jay Leno und David Letterman gebucht, die Tour führte uns durch die gesamten Staaten. Es waren fast vierzig Konzerte in riesigen Hallen beziehungsweise Stadien. Und unendlich viele TV- und Radiotermine. Ich war sprach- und fassungslos. Sprachlos war allerdings auch Jon, der sich mit Sonnenbrille gegen das grelle Tageslicht geschützt, zu uns gesellte. Von allen freundlich begrüßt und nach dem Befinden gefragt, winkte er nur ab und ließ sich auf den nächst besten Stuhl fallen.

„Könnte ich bitte eine Tasse Kaffee haben ?“

„Möchtest Du auch eine Kopfschmerztablette ?“ fragte Mam besorgt.

„Ja, wäre nicht schlecht.“

Er trank schweigend und ich sah, dass seine Kieferknochen mahlten. Tini plapperte weiter munter drauf los und meine Eltern zeigten sich natürlich sehr interessiert. Sie hatten so etwas ja noch nie miterlebt. Tom erklärte ihnen alles geduldig und so hatte ich Gelegenheit, Jon beobachten. Er saß etwas abseits.

„Wie geht`s Dir denn ?“ fragte ich besorgt.

Sein Gesicht hatte immer noch die grünliche Farbe, die es gestern Nacht schon hatte. Er schüttelte nur leicht abwehrend den Kopf, als er sich mir zuwandte.

„Wann geht`s los ?“

„Ich weiß es noch nicht. Ich hab gerade eben erst kapiert, dass dies unsere erste eigene Tour sein wird. Nicht als Vorband, sondern nur wir ganz alleine.“

„Freut mich für Dich, Süße !“ kam von ihm, von einem leisen Stöhnen begleitet.

Seine Hand strich sanft über meine Wange. Ich gab ihm einen sanften Kuss und lächelte ihn aufmunternd an. Ihm ging es alles andere als gut und er tat mir wirklich leid. Wenn er seinen Kopf drehte, verzog er schmerzhaft das Gesicht. Den Kaffee trank er in kleinen, vorsichtigen Schlucken. Wahrscheinlich hatte er Angst, dass er ihn nicht bei sich behalten konnte.

„Willst Du Dich nicht besser hinlegen ?“

„Ne, ich bleib noch ein bisschen auf, sonst spielt der Kreislauf noch mehr verrückt. Ich sollte besser die Finger von solchen Sachen lassen. Langsam werde ich wohl wirklich zu alt für das.“

Ich strich sanft über seinen Arm und erhob mich. Er sah mich fragend an.

„Bin gleich zurück.“

Mit schnellen Schritten ging ich in die Küche. Für seinen Zustand gab es nur eins. Mein Geheimrezept.

Ich nahm ein großes Trinkglas vom Regal und richtete die Zutaten zusammen. Eine Vitamin-C-Tablette, eine Aspirin, Magnesium, Zitronensaft, Mineralwasser mit Kohlensäure und ein rohes Ei. Rasch verquirlte ich alles miteinander, gab einen kleinen Schuss Tabasco-Sauce hinzu und ging wieder zurück.

„Trink das.“

„Was ist das ?“

„Frag lieber nicht, sondern trink. Am besten alles in einem Rutsch !“

„Auf ex ?“

„Auf ex !“

Schaudernd zog er die Schultern zusammen und betrachtete das Glas mit sehr kritischem Blick.

„Sandy, ich glaube….“

„Es ist eklig, aber es hilft.“

„Sag bloß, Du nimmst das nach einer solchen Nacht auch zu Dir ?“

„Jep. Und es ist sogar meine Erfindung.“

Tapfer nahm er das Glas in beide Hände. Kurz bevor er es an seine Lippen nahm, sah er mich zögernd an.

„Mach schon.“

Er hielt sich die Nase zu, schloss die Augen und trank das Glas in einem Zug leer. Prustend holte er Luft, das Wasser schoss im in die Augen und er schüttelte sich wie ein nasser Hund.
Die Ellenbogen auf die Knie gestützt, sah er auf den Boden. Wahrscheinlich in weiser Voraussicht….

Samstag, 12. September 2009

Kapitel 221

Ich sah ihm nach, wie er durch den dunklen Garten ging, die Hecken auseinander bog. Dann war er in der Nacht verschwunden. Ich zündete mir noch eine Zigarette an und ließ meinen Gedanken freien Lauf, wurde jedoch hundemüde und entschloss mich, ebenfalls endlich ins Bett zu gehen. Rasch trank ich meinen kalt gewordenen Kaffee aus und ging ins Haus. In der Küche holte ich noch eine Flasche Wasser und ging nach oben. Jon lag laut schnarchend im Bett. Nachdem ich die Flasche auf das Nachttischchen neben ihm gestellt hatte, ging ich ins Bad und wusch mich. Ich ließ die dreckigen Klamotten achtlos auf dem Boden liegen und entschloss mich, im nebenan liegenden Schlafzimmer zu nächtigen. Total erschöpft schlüpfte ich unter die Decke. Augenblicklich war ich eingeschlafen.

Nach dieser aufregenden Nacht erwachte ich relativ spät und musste erst meine Gedanken sortieren. Kurz entschlossen wischte ich die Trübsal weg. Jon hatte sich betrunken, das war alles. Er hatte momentan einfach zuviel Probleme am Hals. Ich hatte genau dasselbe auch schon öfters getan und die Welt hatte sich trotzdem weiter gedreht. Mühsam schälte ich mich aus der Decke, schwang meine Beine aus dem Bett und schlurfte hinüber, um nach Jon zu sehen. Er schlief immer noch tief und fest. Leise schloss ich die Badezimmertür hinter mir und huschte unter die Dusche. Das heiße Wasser tat mir gut und machte meine müden Glieder wieder munter. Nachdem ich meine Haare trocken geföhnt und mich angezogen hatte, sammelte ich in den beiden Räumen die schmutzigen Kleidungsstücke zusammen und machte mich auf den Weg zur Waschküche. Besser, Rosita oder meine Mam sahen die Sachen nicht und stellten keine unnötige Fragen.

Ich stellte die Maschine an und ging wieder nach oben in die Küche, um mir mein Frühstück zu machen. Rosita werkelte dort bereits geschäftig umher und stellte mir frischen Kaffee hin.

„Was war los heute Nacht ?“

Sie hatte also doch etwas mitbekommen.

„Jon war etwas angetüdelt und Richie und ich haben ihn abgeholt.“

„Etwas angetüdelt ? Das ist ja wohl ein wenig untertrieben, oder ?“

„Na ja, vielleicht war er betrunken.“

Sie lächelte und wandte sich wieder ihren Essensvorbereitungen zu.

„Hast Du deswegen die Waschmaschine angestellt ?“

Oh Mann. In diesem Haus, das ja eigentlich mehr als groß war, konnte man wirklich nichts verheimlichen !

„Ja, die Sachen waren ziemlich…. Na ja….. sie hatten es nötig…. Ich wollte Dir nur was abnehmen.“

Wieder schenkte sie mir ein wissendes Lächeln und drehte sich ganz zu mir.

„Tom und Tini kommen nachher zum Mittagessen. Aber ich denke, ich bereite wohl eher ein verlängertes Frühstück vor.“

„Schön ! Gibt`s was besonderes ?“

„Keine Ahnung, Tom hat mich darum gebeten.“

„Ach so. Dann geh ich mal rüber, vielleicht ist es ja was Wichtiges.“

Mit der Kaffeetasse in der Hand ging ich durch den Garten. Die beiden saßen auf der Terrasse, jeweils den Laptop und Unmengen Papier vor sich. Tini telefonierte mit irgend jemanden. Sie handelte wohl einen Termin aus, denn sie kritzelte in ihrem Terminkalender herum und nickte nur kurz zur Begrüßung. Tom stand sofort auf, als er mich sah und kam freudestrahlend auf mich zu.

„Na ! Kurze Nacht gehabt ?“

„Ja, woher…?“

„Ich bin aufgewacht, als Richie heimkam und er hat mir noch kurz von Eurem nächtlichen Ausflug erzählt.“

Er sah mich mit einem prüfenden Blick an.

„Wieder alles okay ?“

„Denke schon, Jon schläft noch.“

„Ich hab wahnsinnige Neuigkeiten für Euch ! Ich weiß ja, dass Du solche Promotion hasst wie die Pest, aber die letzten Ereignisse haben für einen irrsinnigen Hype gesorgt. Natürlich ist der Hauptgrund schon Eure kleine Tour bei den Klimakonzerten und durch Deinen Sturz hat sich auch einiges auf jetzt verschoben. Aber die Leute kaufen Eure CD wie verrückt. Ich habe Anfragen ohne Ende.“

„Was heißt das ?“

„Ich krieg nachher gleich die allerneusten Chartplatzierungen per Mail, dann wissen wir es genau. Aber was sich jetzt schon abzeichnet, ist, dass die Amerikaner auf Euch abfahren wie Bolle. Und Europa schreit auch nach Euch.“

„Klingt nach verdammt viel Arbeit.“

„Ja, das sieht so aus. Süße, ich freue mich so für Euch !“

Tini hatte ihr Telefonat beendet und stand auf, um mich zu umarmen.

„Guten Morgen ! Konntest Du wenigstens noch ein bisschen schlafen ?“

„Ja, eigentlich ganz gut.“

„Wie geht es Dir ?“

„Auch gut. Aber jetzt sagt mir mal, was Ihr im Einzelnen so vor habt.“

„So genau können wir das noch nicht, da wir im Moment noch keinen Überblick über die Termine haben und wie wir das genau planen werden. Aber eines ist schon sicher.“

„Tom, jetzt mach es nicht unnötig spannend !“ mahnte ich ungeduldig.

„Ihr geht auf Tour.“

„Wow ! Dann kann ich endlich mal wieder meine Freunde sehen !“

„Die musst Du dann aber hierher einladen.“

„Wie ? Was ?“

„Die Tour wird durch die Staaten gehen.“

„Neeeiiiiiin !“

„Doch !“

Ich hüpfte zuerst Tom und dann Tini in die Arme. Ungläubig schüttelte ich den Kopf, ich konnte das alles nicht fassen. Mit zitternden Fingern zog ich mein Handy aus der Tasche und wählte Stefans Nummer, um ihm die Neuigkeiten zu erzählen. Natürlich wollte er sofort herkommen, der Rest unserer Band lag noch in den Federn, da sie gestern die Nacht zum Tage gemacht hatten und mal wieder ordentlich abgefeiert hatten.

So lange er auf dem Weg hierher war, wollte ich nach meiner kleinen Rauschkugel schauen. Leise ging ich die Treppen hoch, öffnete vorsichtig die Tür und schlich auf Zehenspitzen auf das Bett zu. Mir stieg der eklige Mief von abgestandenem Alkohol und Kneipe in die Nase, so dass ich blitzartig die Luft anhielt. Mir zugehaltener Nase riss ich die bodentiefen Fenster weit auf und holte erst einmal eine große Portion frische Luft ab, bevor ich mich wieder umdrehte.

Anscheinend hatte der Luftzug Jon geweckt, denn er blinzelte und fuhr sich mit seinen Händen über das Gesicht. Leise stöhnend brabbelte er irgendwelches unverständliches Zeugs vor sich hin, bis er mich bemerkte. Ich konnte förmlich spüren, wie er erschrak. Es war ihm unangenehm. Es war ihm sogar so unangenehm, dass er mir nicht in die Augen sehen konnte.

„Hi ! Wie fühlst Du Dich ?“

„Hör bloß auf ! Überhaupt nicht….“

Donnerstag, 10. September 2009

Kapitel 220

Ich gab ihm keine Antwort, sondern streichelte ihn nur und hielt ihn in meinen Armen. Richie beobachtete uns besorgt über den Rückspiegel. Wir waren etwa eine Stunde gefahren, als Jon zu würgen begann. Richie steuerte den Wagen schnell auf den Seitenstreifen und hielt mit einer Vollbremsung an. Er sprang heraus, riss die Tür an meiner Seite auf und zog ihn so weit ins Freie, dass er zumindest nicht ins Auto spucken konnte.

Ich stieg ebenfalls aus, ging hinten herum und versuchte, Richie zu helfen. Jon wollte zwischendurch etwas sagen und wandte seinen Kopf in meine Richtung. Doch bevor er ein Wort formulieren konnte, erbrach er sich wieder und dieses Mal traf es meine Jeans und meine Schuhe. Ich rang um meine Beherrschung. Richie sah mich mitleidig, fast entschuldigend, an.

Wir warteten, bis er sich erleichtert hatte und wir den Eindruck hatten, dass nichts mehr passieren konnte. Richie hatte eine Wasserflasche hervor gezaubert und ich gab Jon in kleinen Schlucken zu trinken. Irgendwann winkte er ab, er hätte genug. Richie säuberte ihn mit den Papiertaschentüchern. Ich versuchte derweil, so gut es ging, die Sauerei von mir zu entfernen, was natürlich so gut wie unmöglich war.

Kurz entschlossen zog ich meine Schuhe und meine Socken aus, leerte Wasser über die Jeans und wischte es einigermaßen weg. Jon saß, den Kopf weit zurück gelehnt wieder im Wagen. Als ich mich neben ihn gesetzt hatte, ließ er sich fallen, so dass sein Kopf nun auf meinem Schoß lag. Ich faltete meine Jacke zusammen und schob sie ihm behutsam darunter. Endlich konnten wir unseren Weg fortsetzen, wenn auch mit einem äußerst unangenehmen Geruch im Wagen, der selbst durch die Lüftung nicht beseitigt wurde.

Im Morgengrauen kamen wir zu Hause an und Richie fuhr langsam die Auffahrt hoch. In der Hoffnung niemanden zu wecken, schleiften wir Jon gemeinsam die Treppen hoch. Im Schlafzimmer angekommen, legten wir ihn auf das Bett und zogen ihn aus. Ich holte in einer Schüssel Wasser und einen Waschlappen, um ihn etwas sauber zu machen. Anschließend zogen wir ihm ein frisches Shirt an und deckten ihn zu. Ich löste im Bad eine Aspirin auf, flösste ihm das Gebräu ein und gab ihm einen kleinen Kuss. Als ich das Licht herunter dimmte, hörte ich wie er meinen Namen leise vor sich hin flüsterte.

„Geschafft !“ atmete ich auf, als ich die Tür leise hinter mir schloss.

„Ja, das haben wir.“

„Danke, Rich. Ich weiß nicht, was ich ohne Dich getan hätte.“

„Schon okay ! Gibst Du mir noch einen Kaffee ?“

„Sicher.“

Wir gingen auf die Terrasse und er schob mir seine Zigarettenschachtel zu. Ich inhalierte tief und genoss jeden einzelnen Zug. Richie sah mit unbewegtem Gesicht ins Dunkel.

„Ganz schön schwerer Brocken, was ?“ fragte er etwas unsicher.

„Ja, stimmt.“

„Hör zu. Es tut mir sehr leid, dass Du ihn so sehen musstest.“

„Du kannst ja schließlich nichts dafür.“

„Niemand kann dafür, Du auch nicht, falls Du das denken solltest. Es ist momentan einfach zuviel für ihn. Sandy, Du bist sein Halt, er ist auf Dich fixiert. Du musst unbedingt versuchen, ihm ein Ruhepol zu sein und für ihn da zu sein. Ich weiß, was das Laufen für Dich bedeutet. Für ihn ist es nur ein weiteres Problem.“

„Warum ?“

„Weil er Angst um Dich hat. Angst, dass Dir etwas geschehen könnte, ein Rückfall zum Beispiel.“

„Und deswegen hat er sich so vollaufen lassen ?“ fragte ich verständnislos.

„Natürlich nicht nur deswegen allein. Es kam eben einiges zusammen.“

Er nahm meine Hand und strich leicht darüber.

„Nimm in der nächsten Zeit einfach ein bisschen mehr Rücksicht auf ihn als sonst, okay ?“

„Ich werd`s versuchen.“

Er gähnte verhohlen.

„Wenn Du müde bist, geh ruhig ins Bett. Ich geh auch bald.“

„Okay. Gute Nacht, Kleine.“

Er stand auf und küsste mich sanft auf die Stirn.

„Gute Nacht, Richie. Und nochmals danke !“

Dienstag, 8. September 2009

Kapitel 219

Wir stiegen aus, und so lange Richie mit dem Tanken beschäftigt war, ging ich in den kleinen Shop. Ich bestellte zwei Kaffee, eine Schachtel Zigaretten und bezahlte alles zusammen mit dem Sprit. Gott sei Dank erkannte uns der Typ hinter der Kasse nicht und wir konnten den Kaffee ungestört trinken. Wir rauchten hastig, tranken aus und stiegen wieder in den Wagen.

„Es ist nicht mehr weit, wir sind gleich da.“

Nach etwa einer halben Stunde hielten wir vor einem riesigen Blockhaus, das sich als Westernkneipe herausstellte. Am Eingang hing ein Knochenschädel von irgendeinem Tier, ein Stier oder so ähnlich. Aus dem Inneren drang Countrymusic. Wir traten ein und schauten uns um. Mehrere Paare tanzten Squaredance, es war ziemlich voll. Wir drängelten uns durch die Menschen, anscheinend nahm Richie Kurs auf ein bestimmtes Ziel.
Und dann sahen wir ihn.
Er saß, den Kopf auf eine Hand gestützt, zusammengesunken an der Bar. Vor ihm stand eine leere Weinflasche, eine leere Whiskeyflasche und mehrere Gläser. Seine Hand hielt ein fast leeres Glas, in dem ein kleiner, brauner Rest schimmerte. Der Aschenbecher vor ihm war kurz vor dem Überlaufen.

„Jon,“ sprach ihn Richie an.

Er drehte sich in Zeitlupe zu ihm um und sein gläserner Blick sagte alles.

„Brodder,“ lallte Jon und sein Kopf wiegte unkontrolliert hin und her. Er hob den Arm, ließ diesen aber gleich wieder kraftlos sinken.

„Ich glaube, Du hast genug für heute.“

„Soffiel kann iff gar nifft saufen, daff….“ lallte Jon weiter.

„Hat er bezahlt ?“ fragte Richie die Kellnerin.

„Nein, noch nicht,“ antwortete diese.

„Ich übernehme das.“

Er zog seinen Geldbeutel aus der Hosentasche und beglich die Rechnung. Dann wandte er sich wieder Jon zu.

„Jon, es ist besser, wenn wir jetzt gehen.“

„Wifft Du nicht auch waff trinken ? Iff doch fo ein schöner Tag heute ! Laff unf den gebieffen !“

„Du hast den Tag genug begossen.“

Richie drehte sich zu mir.

„Wir nehmen ihn am besten zu zweit. Du links, ich rechts. Alleine schaffe ich das nicht !“

„Ja, sicher,“ antwortete ich.

Jon hatte mich nun bemerkt und sah mich an. Besser gesagt, er versuchte es, denn seine Augen rollten hin und her.

„Ach, da iff ja die Frau, die nie daff tut, waff man fagt.“

„Jon, lass uns nach Hause gehen.“

„Nach Hauffe ? Wo iff daff ?“

Richie legte sich den rechten Arm von ihm um die Schultern und ich tat das Gleiche mit dem linken. Wir schleiften ihn mit uns aus der Kneipe, er stolperte völlig willenlos zwischen uns her. Das Ganze gestaltete sich durch das große Gedränge ziemlich schwierig, und Jon machte uns die Sache nicht einfacher. Dann und wann faselte er irgendwelches wirres Zeug, das wir mittlererweile nicht mehr verstanden. Die frische Luft draußen gab ihm den Rest.
Das Stück bis zum Auto schien mir endlos, da er immer schwerer wurde und seine Bewegungen völlig unkontrolliert waren.

„Wir lehnen ihn am besten an den Wagen, Du hältst ihn fest und ich öffne die Tür,“ schlug Richie vor.

Ich nickte nur und versuchte Jon festzuhalten, so gut es ging. Doch er begann so sehr zu schwanken, dass ich ihn nicht mehr halten konnte. Ich bekam das Übergewicht und wir fielen gemeinsam zu Boden.

„Scheiße,“ entfuhr es Richie.

Ich konnte mich mit einiger Mühe aus Jons Umklammerung befreien und stand wieder auf. Wir halfen ihm hoch und als er wieder zwischen uns hing, mussten wir beide erst zu Atem kommen.

„Richie, halt ihn. Ich gehe um das Auto herum und dann ziehen wir ihn auf die Rückbank.“

„Okay.“

Endlich hatten wir das geschafft und Jon hing schräg auf dem Rücksitz. Ich setzte mich neben ihn, legte ihm den Gurt um und versuchte ihn zu halten. Richie gab mir vorsorglich eine Plastiktüte, die er glücklicherweise im Kofferraum gefunden hatte und ich legte eine Packung Papiertaschentücher bereit. Anscheinend hatte mich Jon erkannt, denn er sagte immer wieder meinen Namen. Er schlang die Arme um mich und kuschelte seinen Kopf an meine Brust. Wie ein kleines Kind.
Richie startete den Motor und fuhr zurück auf den Highway.

„Du gibst gleich Bescheid, falls er brechen muss ?“

„Ja, wenn ich es schaffe.“

Doch Jon hatte augenscheinlich eine sehr gute Körperbeherrschung. Außer dass er mein Shirt voll sabberte, passierte nichts. Er brabbelte nur vor sich hin.

„Warum tuff Du mir daff an ?“ „Warum feid ihr Frauen imma fo ?“ „Kannft Du nifft einfach lieb fein, und tun waff man Dir fagt ?“ „Ich weiff nicht, Du bifft fo komplififiert.“

Montag, 7. September 2009

Kapitel 218

Mit meinem MP3-Player bewaffnet ging ich in den Garten und legte mich in die Sonne. Es war sicherlich besser, eine Weile zu warten, bis Jons Wut verraucht war und wir in Ruhe reden konnten. Ich wusste, dass er Harmonie über alles stellte. Er kam bestimmt bald von sich aus, um sich wieder zu versöhnen. Doch da täuschte ich mich gewaltig.

Den ganzen Nachmittag bekam ich ihn nicht mehr zu sehen. Als ich hungrig wurde, ging ich ins Haus, machte mir ein Sandwich und setzte mich vor den Fernseher.
Es wurde immer später und später. Schließlich sah ich noch in seinem Arbeitszimmer nach. Dort stellte ich fest, dass sein Handy, dass er sonst immer neben sein Laptop legte, nicht da war. Ich ging zurück in die Halle und sah in der Schüssel auf der Kommode nach, wo wir die Autoschlüssel hineinlegten. Es fehlte einer.

In der Garage klaffte eine Lücke, in der die Viper sonst immer stand. Außer Jon fuhr diesen Wagen niemand.
Klar, er hatte dieses Auto genommen, um sich abzureagieren. Bestimmt jagte er mit ihr über die Highways.
Ich kuschelte mich im Wohnzimmer auf das Sofa und sah mir einen Psychothriller an. Später kamen meine Eltern vom Essen in der Stadt zurück. Sie erklärten mir lächelnd, sie hätten eine kleine Auszeit gebraucht und einen Abend alleine sein wollen. Wo denn Jon wäre ? Ich tischte ihnen auf, er wäre mit Freunden ausgegangen. Auf ihre Frage hin, wie denn das Interview gewesen war, erzählte ich ihnen kurz davon und sie wünschten mir noch eine gute Nacht. Ich legte mich aufs Sofa und schaltete den Ton am Fernseher wieder ein. Der Film war sicherlich spannend, doch meine Gedanken schweiften immer wieder ab.

So langsam wurde ich unruhig. Jon war nun seit Stunden verschwunden und hatte sich nicht gemeldet. Das kannte ich nicht von ihm. Ihn anzurufen, hielt ich jedoch für eine schlechte Idee. Ich stand auf und kramte nach meinem Handy. Auf dem Display wurde jedoch kein Anruf, keine SMS angezeigt. Was zur Hölle sollte ich tun ? Rastlos und mit tausend sinnlosen Gedanken tigerte ich durch das Haus. Doch es half nichts. Schließlich fasste ich einen Entschluss. Ich schlüpfte in meine Schuhe, verließ das Haus. Im Garten angelangt, bog ich die Hecken zu Richies Grundstück auseinander und ging auf die Terrassentür zu. Im Wohnzimmer brannte nur eine kleine Lampe und der Fernseher lief mit leisem Ton. Richie fuhr mächtig zusammen, als er mich bemerkte.

„Hey !“

„Richie, er ist immer noch weg !“

Als ich das gesagt hatte, schossen mir die Tränen in die Augen und ich begann, hemmungslos zu weinen. Er fuhr hoch und nahm mich in seine Arme. Beruhigend strichen seine Hände über meinen Rücken. Schließlich hielt er mich ein Stückchen von sich weg und sah mich fragend an.

„Hat er sich gemeldet ?“

„Nein, kein einziges Mal. Kein Anruf, keine SMS. Die Viper steht nicht in der Garage. Wo könnte er nur sein ?“

Richie sah zu Boden und man konnte ihm förmlich ansehen, dass er krampfhaft überlegte.

„Hast Du ihn angerufen ?“

„Nein, ich habe mich nicht getraut, so sauer wie er war….“

Richie überlegte immer noch. Er fuhr sich mit beiden Händen durch seine Haare.

„Wir suchen ihn. Geh rüber und zieh Dich um, ich hol Dich dann ab, okay ?“

„In Ordnung.“

Ich rannte durch den Garten zurück und die Treppen hoch ins Schlafzimmer. Dort riss ich die Türen des Schrankes auf und zog wahllos eine Jeans und ein Shirt heraus. Nachdem ich umgezogen war, schnappte ich meine braune Lederjacke vom Stuhl, streifte leichte Turnschuhe über und rannte die Treppe wieder hinunter. Richie wartete mit laufendem Motor vor dem Haus. Ich stieg schnell ein und legte den Gurt an.

„Na dann los !“ sagte er.

Eine Weile schwiegen wir, bis ich es nicht mehr aushielt.

„Weißt Du denn, wo er sein könnte ?“

„Ich habe eine Ahnung, aber versprechen kann ich Dir nichts.“

„Oh Mann Richie ! Ich verstehe das alles nicht. Warum reagiert er so ?“

„Ich denke, es ist halt momentan einfach zu viel für ihn. Der Stress mit der Scheidung, die Aussagen von Dorothea. Jon ist ein Mensch, der Harmonie mehr als alles andere braucht. Das schlimmste jedoch ist, dass er sich wahnsinnige Sorgen um Dich macht.“

„Aber ich habe doch wirklich nichts schlimmes getan !“

„Du hast nicht mitbekommen, wie ihn Dein Unfall damals geschockt hat. Liebes, er ist fast durchgedreht. Weil er unbedingt zu Dir ins Krankenhaus wollte, hat er mit dem Gedanken gespielt, den Auftritt abzusagen. Es fiel uns unendlich schwer, ihn dazu überreden zu müssen. Ich habe ihn noch nie so auf der Bühne erlebt, er hat die Songs einfach durchgezogen, nicht mit den Fans gescherzt, keine Zugaben. Danach ist er sofort zu Dir gerast, hat jeden angefahren, der ihm nicht gleich sagen konnte, wie es Dir geht.“

„Er ist die ganze Nacht an meinem Bett gewesen. Und es war so süß, wie besorgt er immer um mich war,“ sagte ich leise.

Wir fuhren schweigend weiter durch die tiefschwarze Nacht. Richie nahm den Highway Richtung Norden. Die grünen Schilder rasten an uns vorbei, wobei mir die Namen die darauf standen, sowieso nichts sagten. Ich war hier noch niemals zuvor gewesen.
Richie zog sein Handy aus seiner Jacke und wählte Jons Nummer an. Danach stellte er auf laut. Das Rufzeichen ertönte in seinen regelmäßigen Abständen. Er ließ es durchklingeln, Jon nahm jedoch nicht ab. Ich wurde immer aufgeregter.

„Keine Panik, Kleines ! Wir finden ihn schon,“ versuchte er mich zu beruhigen.

Ich nickte nur und sah weiter hinaus in die Dunkelheit. Richie nahm den Weg Richtung Route 66. Auf meinen fragenden Blick hin lächelte er mich nur an. Mir wurde bewusst, was für einen wundervollen Freund ich in ihm gefunden hatte und eine große Dankbarkeit überflutete mich. Für einen kurzen Moment war ich erleichtert und mein Herzschlag verlangsamte sich etwas. Ich legte meine Hand auf seine, die auf dem Schaltknüppel ruhte. Wieder lächelte er mich an und drückte meine Hand fest.

So langsam dämmerte mir, wie bescheuert ich mich verhalten und was für einen Fehler ich gemacht hatte. Welcher von den vielen kleinen Teufeln in mir hatte mich da nur wieder geritten ? Innerlich raufte ich mir die Haare, äußerlich lähmte mich die Angst um Jon. Die Angst, dass ihm etwas passiert sein konnte, dass er mir wirklich übel nahm was ich mir geleistet hatte. Ich war so doof, so tatsächlich doof ! Genau genommen hätte ich meine überschüssigen Kräfte ganz einfach im Fitness-Raum im Keller oder im Pool abbauen können. Ganz einfach. Ohne Stress. Ohne Terror. Ohne Streit.
Und vor allem hätte ich mich jetzt Champagner schlürfend mit Jon auf dem Bett räkeln können. Statt dessen hatte ich auch noch als Sahnehäubchen obendrauf Richie vom Sofa gejagt und fuhr mit ihm durch die Nacht. Warum nur tat ich immer wieder solche Dinge ? Das war doch genau das, warum es bei mir nie wirklich mit einem Mann funktioniert hatte. Im Gegensatz zu früher jedoch lag mir dieses Mal etwas an diesem Mann.
Mir lag sogar sehr viel an ihm. Früher hätte ich das Ganze abgetan und dem Typen die Schuld zugeschoben. Ich wäre abgehauen. Oder er hätte sich nicht mehr gemeldet. Bei meinen Freundinnen hätte ich dann ganz fürchterlich über Männer im Allgemeinen geschimpft und mich selbst darin bestätigt, dass diese Spezies eigentlich nicht auf diese Welt gehört. Aber jetzt war es etwas vollkommen anderes. Ich liebte Jon. Ich liebte ihn ganz fürchterlich. Und dabei schoß mir urplötzlich das Wasser in die Augen.
Kurz darauf nahm er eine Ausfahrt und hielt an der nächsten Tankstelle an.

„Brauchst Du was ?“

„Kaffee wäre nicht schlecht. Aber ich komme mit.“

Samstag, 5. September 2009

Kapitel 217 - Krach und Zorneswolken

„Ja.“

„Sag mal, spinnst Du eigentlich total ? Du weißt doch ganz genau, dass das halbe Jahr noch nicht vorüber ist !“

„Das weiß ich selbst. Aber ich musste es tun, Jon, ich brauchte das.“

„Ich musste es tun, ich brauchte es,“ wiederholte er mich schnippisch. „Und was, wenn Du nun einen Rückfall erleidest ? Du hast wohl völlig vergessen, was Dr. Mitchell gesagt hat ?“

„Ja, ich soll nicht leichtsinnig werden, ich soll mich schonen….. Das weiß ich nur zu gut. Aber ich habe nichts getan, was mir schaden könnte. Ich habe mich nicht überanstrengt.“

„Es ist wirklich nicht zu fassen ! Wie kann ein Mensch alleine nur so unvernünftig sein ? Warum tust Du nie, was man Dir sagt ?“

So langsam aber sicher hatte er sich in Rage geredet. Und ich merkte, dass er ziemlich böse auf mich war.

„Was glaubst Du passiert, wenn Du im Rollstuhl sitzt ? Bist du Dir eigentlich darüber im Klaren, dass Deine Gesundheit Dein Kapital ist ? Du bist Sängerin, falls Du das vergessen hast.“

Ich setzte die Wasserflasche erschrocken ab. So hatte er mich noch nie angetobt. Und er hatte mich auch noch nie so wütend angeschaut, diesen Blick hatte ich noch niemals an ihm gesehen. Jon hielt seine Kaffeetasse in beiden Händen und sah mich unverwandt an. Richie hatte sich in seinem Stuhl zurück gelehnt und spielte nervös mit seinem Besteck. Er hatte seinen Blick starr auf den Tisch gerichtet.

„Jon,“ versuchte ich zu erklären, warum ich gelaufen war, aber er ließ mich nicht weiterreden.
Er stellte seine Tasse hart auf den Tisch, so dass es klirrte und stand abrupt auf. Ohne mich anzusehen, stürmte er an mir vorbei aus der Küche und die Tür fiel unangenehm laut ins Schloss.

„Was….?“

Richie erhob sich nun ebenfalls, zog mich an der Hand zum Tisch, drückte mich sanft auf einen Stuhl und schenkte mir einen Kaffee ein.

„Trink erst mal einen Schluck.“

„So schlimm ist das nun auch wieder nicht, dass ich gelaufen bin. Ich weiß nicht, warum er sich jetzt so aufführt !“

Richie sah mich mit seinem offenen Blick aufmerksam an.

„Süße, ich kann es gut verstehen.“

„Ach komm, Richie ! Er tut ja gerade so, als hätte ich ihn betrogen oder jemanden umgebracht. Er behandelt mich fast wie eine Schwerverbrecherin. Ich finde seine Reaktion total übertrieben.“

Er schenkte sich ein Glas Wasser ein und trank einen großen Schluck, bevor er weiter sprach.

„Sandy, er liebt Dich wie ein Wahnsinniger. Er hat eine Scheißangst, dass Dir etwas geschehen könnte.“

Sein Blick hatte nun etwas beschwörendes und mir wurde bewusst, wie ernst es ihm war.

„Das weiß ich, aber ich habe doch wirklich nichts schlimmes getan !“

„Nein, das hast Du nicht. Ich kann Dich verstehen, aber noch mehr verstehe ich Jon. Für Dich selbst war Dein Sturz anfangs nicht so schlimm, wir anderen hatten jedoch eine Nacht durchzustehen, in der wir nicht wussten, was nun wirklich mit Dir passiert war. So eine Nacht kann unendlich lange sein und sie wird dadurch unvergesslich.“

Ich schwieg, da ich nicht wusste, was ich darauf sagen sollte. Er hatte ja Recht, vielleicht war es unvernünftig von mir gewesen. Aber warum konnte mich niemand verstehen ? Und vor allem, musste Jon deswegen so wütend werden ?
Richie stand auf und legte mir seine Hand leicht auf die Schulter.

„Ich geh jetzt mal besser. Lass ihn eine Weile in Ruhe und dann geh zu ihm und rede mit ihm.“

„Ich weiß nicht. Schließlich hat er mich so angemacht.“

„Weil Du einen Fehler gemacht hast, Süße.“

Die Terrassentür ging langsam hinter ihm zu und ich blieb noch eine Weile regungslos sitzen. Da war er also. Unser erster Krach.

Ein komisches Gefühl beschlich mich, in der ganzen Zeit unserer Beziehung war nie ein böses Wort zwischen uns beiden gefallen. Wir hatten uns noch nie angeschrieen oder waren so verschiedener Meinung gewesen wie jetzt. Gedankenverloren trank ich mein Wasser aus und beschloss schließlich, duschen zu gehen. Von Jon war nichts zu sehen oder zu hören. Ich zog meinen grauen Schnuffelanzug an und ging barfuss durch das Haus. Merkwürdigerweise war auch von meinen Eltern oder Rosita keine Spur zu finden. Wahrscheinlich hatten sie sich alle verkrümelt.

Mittwoch, 2. September 2009

Kapitel 216

"Schatz, ich schwöre Dir, ich werde Dich mit meiner Scheidung nicht belasten. Ich versuche, alles von Dir fernzuhalten. Ich möchte nicht, dass Du Dir deswegen Gedanken machst, okay ?“

Das gefiel mir nun überhaupt nicht. Ich fühlte diesen wohlbekannten Unwillen in mir aufsteigen.

„Das möchte ich aber nicht !“

Sein Blick war mehr als verwundert, ja fast schon ein wenig fassungslos.

„Jon, wir haben uns vor gar nicht allzu langer Zeit versprochen, dass wir über alles reden. Das wir dem anderen alles sagen, was unser Leben betrifft. Du hast mir mal vorgeworfen, ich würde Dich nicht an meinem Leben teilhaben lassen. Genau das hast Du vor !“

„So habe ich das nicht gemeint ! Du….“

„Ich bin nicht aus Zucker.“

„Nein, das ist sie wirklich nicht. Und so langsam solltest Du das auch begriffen haben !“

Richie stand grinsend wieder dort, wo er eben gestanden hatte, beide Hände in die Hüften gestemmt.

„Kommt Ihr zwei nun endlich, wir müssen wirklich !“

„Ja, wir kommen,“ antwortete ich und sah nochmals zu Jon.

Aber er hatte sich schon umgedreht. Also ging ich ihm nach und wir verabschiedeten uns von Bee und ihrem Team. Der Rest von uns ging schnatternd, diskutierend und lachend vor uns her. Anscheinend waren sie alle froh, dass das Interview vorbei war. Richie fand es ziemlich gelungen und auch Jon pflichtete ihm bei. Wir verließen das Gebäude und stiegen in die wartende Limousine, die uns zum Flughafen brachte.

Im Flieger ließ ich mich erschöpft auf einen der Sitze fallen. Keinen Strich gearbeitet und trotzdem total geschafft, dachte ich im Stillen. Als wir die Reisehöhe erreicht hatten, bestellte ich bei der Stewardess einen Rotwein. Ich musste mich mit irgend etwas beruhigen. Und es funktionierte, der Wein machte mich schläfrig. An Jons Schulter gelehnt, dämmerte ich in einen tiefen Schlaf, aus dem ich erst erwachte, als wir zur Landung in LA ansetzten.
Es war bereits weit nach Mitternacht, bis wir endlich wieder zu Hause ankamen. Als die Haustür hinter uns ins Schloss fiel, nahm mich Jon an der Hand und zog mich in die Küche.
Auf meinen fragenden Blick hin, lächelte er nur und schenkte uns beiden ein Glas Wein ein. Wir lehnten einander gegenüber und tranken schweigend.

„Danke, dass Du heute mitgekommen bist.“

„Das war doch selbstverständlich.“

„Nein, das war es für mich nicht.“

Er hatte den Kopf leicht gesenkt und sah mich von unten herauf an. Ich spürte, er wartete auf eine Antwort von mir.

„Für mich schon. Du warst für mich in schweren Zeiten da und nun bin ich eben für Dich da.“

Ich trank mein Glas aus, nahm ihn bei der Hand und zog ihn mit mir.

„Lass uns schlafen gehen, es war ein langer Tag.“

Er nickte nur und folgte mir.
In dieser Nacht lag ich lange wach, dachte an die Dinge, die mir Tini gesagt hatte. Überlegte hin und her, stellte mir vor, wie die kommenden Monate für uns aussehen würden. Versuchte, mich in Dorothea hineinzuversetzen. Dachte darüber nach, wie ich in ihrer Lage reagieren, fühlen, denken würde.

Wenn ich nur endlich wieder laufen könnte ! Ich sehnte mich entsetzlich danach, mich wieder auszupowern, mit Richie durch den Park zu jagen. Dann hätte ich meinen Kopf ganz sicher wieder schnell freibekommen und die Situation leichter verarbeiten können. Erst in den frühen Morgenstunden fiel ich in einen traumlosen Schlaf, der mir nicht wirklich Erholung brachte.
Und die Probleme waren am nächsten Morgen immer noch da.

Jon schlief noch tief und fest, als ich - aufgeweckt durch die innere Unruhe, die mich beherrschte - vorsichtig unter der Decke hervorschlüpfte und mich leise anzog. Meine Laufhose, Shirt und Schuhe lagen griffbereit unten im Schrank. Aus meiner Handtasche angelte ich meinen MP3-Player und schloss die Schlafzimmertür. Die frische Morgenluft erfrischte mich und ich trabte langsam los.

Mir fiel die Warnung von Dr. Mitchell ein, dass ich keinen Leichtsinn an den Tag legen sollte. Ich musste lächeln und wischte den Gedanken rasch beiseite. Natürlich war ich leichtsinnig, jedenfalls dann und wann. So war ich. Und nur so machte das Leben Spaß. Und genau deswegen lief ich endlich wieder. Natürlich vorsichtiger wie ich das gewohnt war. Überrascht stellte ich fest, dass ich schnell meinen Rhythmus fand und sehr leicht lief. Es war einfach herrlich ! Ich genoss das lange vermisste Gefühl und ließ mich fallen. Mit jedem Schritt kam ich meinem Körper wieder näher, wenn ich auch feststellen musste, dass meine Kondition beim Teufel war.

Aber ich hörte nicht darauf, sondern überwand meinen inneren Schweinehund. An einem besonders großen Baum angekommen, plumpste ich völlig außer Atem auf eine Bank. Ich war einfach total happy, losgelöst und restlos glücklich. In diesem Moment war alles so leicht. Mein Herz beruhigte sich langsam und genauso langsam fasste ich neuen Mut. Warum hatte ich mir gestern den ganzen Tag und fast die ganze Nacht so schwer gemacht ? Es brachte nichts, in die Zukunft schauen zu wollen oder irgendwelche Dinge vorhersehen zu wollen, sich vorzustellen, wie alles kommen könnte. Ich konnte daran sowieso nichts ändern. Und mir wurde eines klar: Ich liebte Jon über alles und ich wusste, dass ich ihm jetzt beistehen musste.

Nach einer Weile fühlte ich mich ausgeruht genug, um zurück zu laufen. Wenn ich ehrlich zu mir war, hatte ich mich ein klein wenig überschätzt, denn als ich endlich am Haus ankam, war ich ganz schön erledigt. Der Schweiß lief in Bächen an meinem Rücken hinab und die Hitze knallte nur so aus meinem Körper hinaus. Durstig ging ich in die Küche, um die Wasservorräte zu plündern.
Jon saß mit Richie beim Frühstück. Beide sahen mich überrascht an, als ich herein kam.

„Du warst laufen ?“ fragte Jon entgeistert.