Samstag, 27. Juni 2009

Kapitel 179

Wir fuhren am nächsten Morgen bereits sehr früh los. Jon konnte leider nicht mit, da er ausgerechnet an diesem Tag einen wichtigen Termin mit seinem Management hatte. Er bedauerte dies sehr und beteuerte immer wieder, dass er lieber mit mir zum Arzt gefahren wäre, als sich mit seinem Team um die neue Werbekampagne zu kümmern.
Ich war unheimlich aufgeregt, als wir an der Klinik ankamen. Irgendwie hatte sich in meinem Kopf festgesetzt, dass von diesem Arzttermin sehr viel für mich abhängen konnte.

„Sei ganz ruhig, Du brauchst Dir überhaupt keine Gedanken machen !“

Ke Gao hatte gemerkt, wie nervös ich war. Mein Handy klingelte.

„Hallo Schatz !“

„Hallo Honey ! Ich wollte Dir nur kurz viel Glück wünschen. Ich bin in Gedanken bei Dir.“

„Das ist so süß von Dir ! Danke schön !“

„Bitte melde Dich gleich, wenn Du fertig bist, okay ?“

„Mach ich !“

Er schickte mir noch einen Kuss, den ich zurück gab.
Wir betraten das Gebäude und wurden gleich zu meinem Arzt geleitet. Er war sehr überrascht, als Ke Gao berichtete, dass ich zu großen Teilen ohne Krücken durch den Tag marschierte.

„Das ist eigentlich nicht möglich !“

Er schüttelte ungläubig den Kopf und begann mit seiner Untersuchung, die der von Ke Gao sehr ähnlich war. Ich musste noch zum Röntgen und danach warteten wir auf die Ergebnisse. Die Arzthelferin kam zu uns und bat uns, wieder ins Behandlungszimmer zu kommen.
Dr. Mitchell stand vor den Aufnahmen und studierte diese aufmerksam. Als wir eintraten, winkte er uns zu sich und erklärte uns alles. Zum Vergleich hatte er die Aufnahmen, die in der Nacht meines Sturzes angefertigt worden waren, ganz links aufgehängt. In der Mitte hingen die, die er vor drei Wochen gemacht hatte und ganz rechts waren die von heute.

„Der Unterschied zu denen, die ungefähr von der Mitte des Krankheitsverlaufes stammen, ist sehr beachtlich. Sie haben große Fortschritte gemacht, Miss Reed. Eigentlich zu große Fortschritte.“

„Wieso zu große Fortschritte ?“

„Nun ja. Sie sind ein sehr aktiver Mensch und ich habe die Befürchtung, dass sie nun eventuell leichtsinnig werden könnten. Ich weiß von Ke Gao, dass Sie gerne und viel joggen.“

„Ja, das tue ich gerne.“

„Aber das wird leider noch nicht so schnell wieder gehen.“

Ein ungutes Gefühl beschlich mich.

„Was heißt das genau ?“

„Das heißt, dass die Erschütterungen, die beim Joggen auf die Gelenke kommen, momentan noch zu stark wären. Sie müssen mindestens noch ein halbes Jahr warten, bis Sie wieder laufen können.“

„Und das Gehen im Alltag ? Wann wird sie ohne Krücken auskommen können ?“ fragte nun Ke Gao.

„Darüber brauchen Sie sich keine Gedanken machen, das wird sich im Laufe der Zeit einstellen. Sie werden immer längere Zeiträume ohne Gehhilfen erleben.“

Dr. Mitchell überlegte einen Augenblick.

„Ich empfehle, mit der bisherigen Therapie fortzufahren. Sie können die Trainingseinheiten erhöhen, sie können auch die Gewichte erhöhen und die Dauer des Trainings verlängern. Aber bitte keinen Leichtsinn an den Tag legen !“

Ein mahnender Blick von ihm traf mich.

„Sie müssen sich wirklich am Riemen reißen und dürfen nicht übermütig werden. Es wird Tage geben, an denen Sie Bäume ausreißen könnten und dann wird es Tage geben, an denen Sie eben nicht so aktiv sein können. Aber ich bitte Sie, meine Ratschläge zu beherzigen und Sie werden dann wieder ganz gesund sein. Versprechen Sie mir das ?“

„Okay, ich werde brav sein,“ versprach ich.

„Wir sehen uns dann in drei Wochen wieder, ich lasse einen Termin für Sie eintragen.“

Wir verabschiedeten uns und verließen die Praxis.
Mit hängenden Schultern ging ich neben Ke Gao her. Ich hatte mir insgeheim schon überlegt, wann ich mit Richie wieder laufen könnte. Klar, hatte ich das Training mit Ke Gao, aber das war für mich immer noch kein solches Auspowern wie sonst. Und ich hatte so langsam absolut keinen Bock mehr, immer nur auf mich aufzupassen und einen auf verletzt zu machen. Himmel, ich wollte endlich mein altes Leben wieder ! Wir saßen kaum im Auto und fuhren aus dem Parkhaus, als mein Handy vibrierte.

„Hi Babe ! Wie war`s ? Was hat der Arzt gesagt ?“

„Das ich immer noch auf mich aufpassen soll, dass ich immer noch nicht wieder laufen darf, dass ich mich immer noch verhalten soll, wie eine alte Frau !“ nörgelte ich in den Hörer.

„Ach komm, so schlimm kann es doch nicht sein !“

„Doch ! Und langsam krieg ich hier mal echt die Krise ! Ich hab es satt !“

„Hey hey, Sandy, jetzt mach mal halblang. Du hast doch riesige Fortschritte gemacht !“

„Ja, die habe ich tatsächlich gemacht. Als Lob dafür sagte Dr. Mitchell, ich dürfte auf keinen Fall leichtsinnig werden und ich musste es ihm sogar versprechen.“

„Daran musst Du Dich wohl halten. Es hilft alles nichts, wenn Du wieder gesund werden willst. Ich weiß, es ist schwer für Dich, die Situation zu ertragen, aber Du bist jetzt soweit gekommen, dann schaffst Du den Rest auch noch !“

„Ja ich weiß, Jon. Ich muss geduldig sein, aber ich will das nicht mehr.“

„Doch, Du bist eine starke Frau und ich weiß, dass Du das kannst !“

Wir schwiegen beide und ich hörte, wie er Luft holte.

„Um Dir das Warten ein wenig zu versüßen, habe ich eine Riesen-Überraschung für Dich.“

„Eine Überraschung ? Was denn für eine ?“

„Das verrate ich Dir jetzt noch nicht.“

„Ach komm ! Bitte !“

„Wenn ich es vorher preisgebe, was ist es dann nicht mehr ?“ fragte er zurück.

„Na gut. Dann warte ich halt mal wieder ! Bin ich ja gewohnt….“

„Heute Abend erfährst Du es, okay ?“

„Okay.“

„Und noch eins: Sei nicht immer so quengelig !“

Nun musste ich trotz allem doch lachen und ich schickte ihm einen Kuss durch den Hörer.
Als wir aufgelegt hatten, bemerkte ich Ke Gao`s Blick. Er schmunzelte.

„Was ?“ fragte ich.

„Komisch, vorher warst Du so richtig down, und kaum telefonierst Du mit Jon, dann kannst Du wieder lachen !“

„Ja, das ist komisch. Er schafft es mit seiner Art immer wieder, mich zum Lachen zu bringen. Mit ihm ist immer alles viel leichter und einfacher.“

„Das ist wohl Liebe !“

„Ja, das ist es.“

Samstag, 20. Juni 2009

Kapitel 178

„Hallo Dad !“

„Hallo, Kleines ! Ihr seid schon auf ? Das ist aber früh für Euch !“

„Na ja.“

Ich wusste nicht, wie ich beginnen sollte.

„Du hast doch was auf dem Herzen, oder ?“

Er sah mich prüfend an.

„Na komm, raus mit der Sprache !“

„Dad…. Also….Jon….Er…. Jon hat mich gefragt, ob ich zu ihm ziehen möchte.“

„Und jetzt weißt Du nicht, was Du ihm antworten möchtest ?“

„Nein, das weiß ich schon, aber ich hab vorhin echt total doof reagiert.“

„Was hast Du denn gemacht ? Hast Du ihn abblitzen lassen ?“

„Nein, er hat zwar gesagt, ich solle in Ruhe überlegen, aber ich hab einfach gar nichts gesagt, gar nicht reagiert.“

„Und was willst Du jetzt machen ?“

„Ich weiß es nicht.“

„Aber ich weiß es.“

Ich sah ihn an, versuchte, in seinem Gesicht zu lesen.

„Schau mich nicht so ratlos an ! Los, lauf schon zu ihm, und sag ihm, dass Du zu ihm ziehen möchtest !“

Er gab mir einen Klaps auf den Hintern und nickte mir aufmunternd zu.

„Das willst Du doch ?“

„Ja !“ rief ich aus und lief los.

Ich fand ihn in seinem Tonstudio im Keller. Er saß am Klavier und notierte sich Noten auf einem Blatt Papier. Mit der anderen Hand spielte er immer wieder dieselbe Passage. Ich wollte ihn nicht unterbrechen und blieb an der Tür stehen.
Endlich schaute er auf und schenkte mir ein strahlendes Lächeln. Ich flitzte zu ihm und er zog mich auf seinen Schoß. Erwartungsvoll sah er zu mir auf.

„Ja !“

Er zog kurz die Augenbrauen zusammen, immer noch von seinem Lächeln unterlegt, das nun allerdings etwas herausfordernd war.

„Was ja ?“

„Du hast mich etwas gefragt, und die Antwort darauf lautet „Ja“ !

„Was hab ich denn gefragt ?“

„Jon, jetzt mach`s mir nicht so schwer !“

„Na ?“

„Was na ?“

„Sag es !“

„Du weißt ganz genau, was Du mich gefragt hast !“

„Ich weiß das schon, weißt Du das auch noch ?“

„Och komm schon !“

„Sag es einfach !“

Ich holte tief Luft.

„Du machst mich mit Deiner Frage zur glücklichsten Frau in diesem Sonnensystem. Ich möchte zu Dir ziehen und es ist ein Traum für mich, hier mit Dir zu leben.“

Er strahlte mich an und zog mich in seine Arme.

„Und Du machst mich zum glücklichsten Mann im Sonnensystem, Honey.“

Er legte seinen Kopf in den Nacken und sah mich mit einem Blick an, der mir Gänsehautschauer über meinen kompletten Körper jagte. Mir wurde heiß und kalt. Ich beugte mich vor und begann ihn zu küssen. Seine Lippen empfingen meine sofort und wir versanken in einer anderen Welt. Wir lösten uns erst voneinander, als wir Ke Gaos Rufe nach mir vernahmen.

„Ich muss dann wohl zum Training,“ sagte ich entschuldigend.

„Ja, das musst Du wohl.“

Er stupste mit dem Zeigefinger an meine Nase und ich stand bedauernd auf. An der Tür drehte ich mich nochmals um und schickte ihm einen Handkuss. Er schüttelte lächelnd seinen Kopf.

„So, meine Liebe. Jetzt lass uns mal nachschauen, ob Deine neuesten Eskapaden irgendwelche Folgen hinterlassen haben.“

„Ke Gao, ich….“

„Keine Widerrede ! Zieh bitte Dein Shirt aus.“

Folgsam tat ich, was er von mir verlangte und legte mich auf die Liege. Er begann mit seiner Untersuchung und tastete meinen Rücken ausgiebig ab. Ich sollte mich aufsetzen und er legte seine Hand fest oberhalb meines Steißbeines und ließ sie dort liegen. Danach winkelte er meine Beine an und bedeutete mir, ich solle sie wieder strecken. Er wiederholte den Vorgang noch einige Male. Er machte noch einige Übungen mit mir, bei denen er mich genau beobachtete und immer wieder abtastete.

„Es ist zwar nicht zu erklären, aber ich denke, Du bist über das Schlimmste hinweg.“

„Wieso ist dies nicht zu erklären ?“

„Weil Du für den Zeitraum nach Deiner Verletzung einfach schon viel zu weit bist.“

„Wie zu weit ?“

„Du bist eigentlich zu weit genesen.“

„Ja aber, das ist doch toll, oder nicht ?“

„Es ist schon toll, aber ich möchte das von Dr. Mitchell bestätigen lassen und deswegen gehen wir morgen dort zusammen hin. Ich möchte mit ihm reden und bei seiner Untersuchung dabei sein. Wäre das okay für Dich ?“

Freudig stimmte ich zu. Ich war unheimlich happy über das, was Ke Gao gesagt hatte. Die letzten Wochen waren ziemlich quälend für mich gewesen, vor allem die Lähmungen hatten mich immer wieder sehr verunsichert und mir Angst gemacht. Ich spürte eine große Erleichterung in mir und ich war froh, dass mich Ke Gao zum Arzttermin begleiten wollte. So hatte ich einen Spezialisten an meiner Seite, der zudem meinen Krankheitsverlauf genau kannte.

Dienstag, 16. Juni 2009

Kapitel 177 - Jojo im Kopf

„Kannst Du nicht schlafen ?“ fragte ich.

„Nein, ich bin hellwach, warum auch immer.“

Er rieb sich die Augen und sah mich an.

„Hast Du Lust, mit mir runter zu gehen ? Lass uns einen Kaffee holen und zu unserem Mäuerchen gehen, okay ?“

Nach einem kurzen Blick auf den Wecker stimmte ich zu. Es war gerade mal ein paar Minuten vor fünf.

„Ja, ich geh mit.“

Nach einer Katzenwäsche zogen wir uns rasch bequeme Klamotten an und gingen Hand in Hand in die Küche, machten uns zwei große Tassen Kaffee und verließen leise das Haus. Schweigend gingen wir hinunter zu der kleinen Mauer, die den Garten vom steil abfallenden Gelände trennte und vor dem Absturz schützte. Regungslos saßen wir eine Weile dort, mit dem Rücken zum Anwesen und betrachteten das Tal, das im Morgennebel unter uns lag.

Ich weiß nicht, wie lange wir dort saßen. Ich wandte meinen Kopf zu Jon. Er sah mit unbewegtem Blick hinunter. Nicht einmal seine Augen bewegten sich. Es war ungewöhnlich, dass er so früh aufwachte und es war ebenso ungewöhnlich, dass er mit mir an diesen Ort wollte. Ich spürte, dass ihn irgend etwas bewegte. Aber warum sagte er nichts ? Warum schwieg er so beharrlich ? Ich merkte, wie wieder diese dunklen Gedanken und diese verfluchte Angst in mir aufsteigen wollten. Unwillig schüttelte ich meinen Kopf. Jon sah mich überrascht an und lächelte.

„Hey hey ! Was denkst Du nur wieder ?“

Er stellte seine Kaffeetasse ab, legte seinen Arm um meine Schultern und drückte mich an sich. Ich kuschelte mich an ihn und seine Nähe tat mir gut. Nach einer endlos langen Zeit bewegte er sich und ich rückte ein Stückchen von ihm weg um ihn ansehen zu können. Sein Gesichtsausdruck hatte sich nicht verändert, er hielt seine Kaffeetasse in der Hand und starrte sie an. Ich hielt das Schweigen zwischen uns nicht mehr aus.

„Wollen wir wieder zum Haus gehen ?“

Er sah mich an. Regungslos.

„Sandy, ich möchte etwas mit Dir besprechen.“

Nun sah er wieder die Tasse an und drehte sie zwischen seinen Händen hin und her.
Ein Seufzer entwischte mir.

„Versprich mir bitte, dass Du nicht ausflippst. Das, worum ich Dich bitten möchte, ist sehr wichtig für mich und bitte, überleg es Dir genau, bevor Du mir darauf antwortest.“

Ich wagte nicht mehr, zu atmen. Meine Gedanken rasten und ebenso mein Herz.

„Okay,“ sagte ich lahm.

Er nahm meine Hände in seine und sah mich mit seinem warmen Blick an. Am Zittern meiner Hände merkte er, dass ich wahnsinnig aufgeregt war und ein kleines aufmunterndes Lächeln huschte über sein Gesicht.

„Was hältst Du davon, wenn Du zu mir ziehst ?“

Ich brachte kein einziges Wort heraus. Darauf wäre ich im Leben nicht gekommen ! Sein Blick war noch immer auf mich gerichtet. Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Ebenso konnte ich ihm keine Antwort geben.
Jon spürte wohl, was in mir los war. Er küsste mich sanft auf die Wange und stand auf.

„Überleg es Dir, Liebes.“

Ich sah ihm nach. Langsam und mit gesenktem Kopf ging er auf das Haus zu.
Ich blieb sitzen wo ich war. Mein Kopf dröhnte und ich war wie gelähmt. Jon hatte mich gefragt, ob ich zu ihm ziehen wollte und ich hatte ihm keine Antwort geben können. Und er hatte es vorher schon geahnt. Was sollte ich nur tun ? Eigentlich wohnte ich ja fast hier, die Monate vorher hatte ich in Hotels verbracht und die wenigen Nächte, die ich in meiner eigenen Wohnung in Deutschland gewesen war, konnte ich an einer Hand abzählen. Millionen Frauen hätten, ohne zu zögern, zugestimmt.

Und ich ? Ich ließ ihn einfach weg gehen. Warum hatte ich Dussel nicht einfach ja gesagt ? Warum musste ich immer alles komplizierter machen, als es war ? Ich ärgerte mich maßlos über mich selber. Vorher hatte ich immer allein gelebt, die Männer in meinem Leben waren nur Übernachtungsgäste gewesen und nie hatte ich auch nur daran gedacht, mit einem von ihnen zusammen zu leben. Mit Jon war es von Anfang an ganz anders gewesen. Er hatte mich hier her entführt und es war immer von vorne herein klar gewesen, dass, wenn ich in Amerika war, bei ihm wohnte. Wir hatten nie darüber gesprochen, und ich hatte mir nie darüber Gedanken gemacht. Warum hatte er mich ausgerechnet heute morgen gefragt ? Ich war manchmal total bescheuert.

Eine kurze Weile blieb ich noch dort sitzen, ordnete meine Gedanken. Und plötzlich wusste ich, was ich tun musste.

Sonntag, 14. Juni 2009

Kapitel 176 - Die Nacht.....

„Du bist … irre. Hör …. sofort auf …. damit !“

Als ich das jedoch tat, konnte ich kurz darauf von ihm hören:
„Babe, bitte …. nicht ….. aufhören !“

Ich beugte mich über ihn und bedeckte seinen Körper mit meinen Küssen. Ich ließ meine Lippen sanft über seine Haut streichen und ich merkte bald, dass er darunter erschauderte und sich wehrlos diesen Berührungen hingab. Als er es nicht mehr aushielt, stürzte er sich blitzschnell auf mich, so dass ich auf dem Rücken lag. Meine Arme hatte er über meinen Kopf gebogen und hielt meine Hände fest.

„Du bist ganz schön wahnsinnig !“

„Jon, ich habe in Dir den besten Lehrmeister in Sachen Wahnsinn !“

Er grinste und küsste mich wieder. Seine Zunge spielte mit der meinen und aus dem einen Kuss wurde ein endloser. Ich konnte seine Lippen wieder an meinem Hals spüren und ließ ihn dieses Mal gewähren.

„Honey ?“

„Ja ?“

„Ich …. Sollen wir …. Muss ich vielleicht ….“

Ich bog meinen Kopf etwas zurück, um ihn ansehen zu können. Da wusste ich, was er meinte.

„Nein, Schatz. Du musst auf nichts aufpassen. Es ist alles okay.“

„Ich will Dir nicht wehtun. Wenn, dann sag es bitte, in Ordnung ?“

„Mach Dir nicht so viele Gedanken. Und nun komm….“

Ich zog ihn wieder zu mir herunter und endlich gab er mir, worauf ich so lange verzichten musste. Vorsichtig, fast zaghaft glitt er in mich. Immer wieder sah er mich an, ob er mir nicht wehtun würde. Zu lange mussten wir beide darauf warten und doch liebten wir uns langsam, vorsichtig, unendlich zärtlich. Dies hielt nicht lange an, die Leidenschaft bei uns beiden war einfach stärker. Wir fanden unseren Rhythmus und ich kam ihm mit wilden Bewegungen entgegen. Nur wenig später explodierten wir gleichzeitig, ich hörte meinen eigenen lauten Schrei und sein langgezogenes „aaaarrrrgh“. Er drückte mich so fest an mich, dass mir fast die Luft wegblieb.
Eine unsagbare Zufriedenheit war bei uns beiden zu spüren, als wir wieder etwas bei Atem waren. Jon lag reglos neben mir. Er hatte die Augen geschlossen. Nach einer Weile drehte er seinen Kopf. Plötzlich überzog ein Grinsen sein Gesicht.

„Was ?“ fragte ich.

„Nichts.“

„Und warum grinst Du dann so unverschämt ?“

„Ich grinse unverschämt ?“

„Jaaaah !“

„Sag ich Dir nicht !“

Ich rollte mich zu ihm hinüber, so dass ich halb auf ihm lag. Seine Arme umschlossen mich fest.

„Los, sag es !“ forderte ich.

„Ich dachte nur eben, was ich mir da für einen kleinen Sturkopf geangelt habe.“

„Wieso bin ich jetzt wieder stur ?“

„Na ja, als ich vor drei Wochen abgereist bin, konntest Du gerade mal ein paar Schritte ohne Krücken gehen. Und heute rennst Du mir einfach so, als wäre nichts gewesen, auf Deinen eigenen Beinen entgegen.


Er sah mir tief in die Augen.

„Wie kann das sein ?“

„Ich hab halt mit Ke Gao brav meine Übungen gemacht.“

„Du hast ganz sicher nicht nur mit Ke Gao trainiert ! Sei ehrlich !“

„Ich bin ehrlich !“

„Sandy, ich weiß genau, dass Du heimlich trainiert hast. Gib es einfach zu !“

„Ich hab nicht heimlich trainiert.“

„Du kleine Schwindlerin !“

Er sah mich mit einem derart wissenden Blick an, der mir keinerlei Fluchtmöglichkeiten ließ und ich war mir in diesem Moment hundertprozentig sicher, dass Jon jeden meiner Gedanken lesen konnte. Er schüttelte mich leicht an meinen Schultern.

„Okay, ich hab halt nach den Therapieeinheiten die Sachen für mich nachgeholt. Aber das hab ich nicht heimlich gemacht.“

„Wusste ich es doch ! Und „nicht heimlich“ heißt in diesem Fall wohl, Du hast gewartet, bis niemand in Reichweite war, der Dich beobachten konnte, oder ?“

„Ja.“ antwortete ich kläglich.

Er schüttelte seinen Kopf, lächelte mich aber mit einem ganz süßen Lächeln an.

„Das hab ich mir gedacht. Ich wusste das bereits, als ich hier ins Auto stieg. Du hast mir versprochen, keinen Blödsinn zu machen und Dich nicht zu überanstrengen.“

„Ja, das hab ich versprochen. Aber ich hab nicht übertrieben und ich hab sofort aufgehört, als ich merkte, dass es zuviel wurde. Außerdem kenne ich meinen Körper und kann ihn einschätzen.“

Seine Augen ruhten immer noch in meinen.

„Ich wollte Dich einfach überraschen. Es hat mir riesigen Auftrieb gegeben, als ich mir vorstellte, wie Du schauen würdest, wenn ich Dir selbst und ohne Hilfe entgegen gehen würde. Das war mir unheimlich wichtig.“

„Die Überraschung ist Dir gelungen. Und es war eine wundervolle Überraschung !“

Er streichelte über meinen Rücken und die Schauer darauf lieferten sich ein Wettrennen.

„Warum tust Du eigentlich nie, was man Dir sagt ?“ fragte er gespielt vorwurfsvoll.

Ich wollte ihm eine Antwort geben, aber er unterbrach mich.

„Babe, bitte achte mehr auf Dich. Ich will nicht, dass Dir was passiert.“

„In Ordnung.“

„Ich meine das ernst.“

Er zog meinen Kopf zu sich hinunter und küsste mich. Als wir uns voneinander lösten, lächelte er mich wieder mit seinem unglaublichen Lächeln an.

„Ich danke Dir dafür, dass Du das gemacht hast. Aber ich liebe Dich auch, wenn Du an Krücken gehst.“

Wir kuschelten noch eine ganze Weile miteinander, bis er merkte, dass mir die Augenlider immer wieder zufielen.

„So, jetzt wird aber geschlafen.“

Er löschte das Licht, zog die Decke über uns beide und nahm mich fest in seine Arme.
Nur wenige Stunden später wachte ich auf, weil Jon unruhig wurde. Er war bereits wach und ich dann leider auch.

Freitag, 12. Juni 2009

Kapitel 176

Seine Hand streifte von meinem Nacken über meinen Arm. Ich erzitterte unter dieser Berührung und kurzerhand nahm ich ihn an der Hand und wir gingen wieder in den Garten zurück.
Die Spannung zwischen uns beiden wuchs ins Unermessliche. Meine Gedanken kreisten nur noch um ein Thema. Jon. Ich. Jon. Ich.

Er warf mir wieder seine Blicke zu, die mir alles sagten. Ich wusste genau, was er dachte. Und er machte mich verrückt damit. Ich liebte alle, die am Tisch saßen, wenn ich aber ehrlich war, wollte ich nur noch, dass sie sich verabschiedeten, beziehungsweise ins Bett gingen. Es war verflucht schwer den zufälligen Berührungen von Jon auszuweichen und nicht gleich vor allen Gästen über ihn herzufallen. Ich sehnte mich einfach wahnsinnig nach seiner Nähe. Der Abend zog sich fast unaushaltbar in die Länge. Irgendwann ging es nicht mehr und ich entschuldigte mich.

„Sorry Leute ! Ich bin ziemlich müde. Gute Nacht !“

Die anderen wünschten mir ebenfalls eine Gute Nacht, ich beugte mich über Jon, küsste ihn auf die Stirn und warf ihm einen viel sagenden Blick zu. Er zwinkerte mir fast unmerklich zu.
Gerade, als ich aus dem Bad heraus kam, hörte ich die Schlafzimmertür leise ins Schloss fallen. Er hatte meinen Blick also verstanden !
Langsam gingen wir aufeinander zu. Jon musterte mich von oben bis unten mit einem Blick, der auf meinem ganzen Körper eine Gänsehaut hinterließ. Wir standen voreinander, hielten uns an den Händen und sahen uns in die Augen. Wie in Zeitlupe hob er seinen Arm und fuhr sanft durch meine Haare. Seine Hand strich leicht über meinen Hals und sein Zeigefinger glitt durch das Tal zwischen meinen Brüsten. Ich erschauderte. Rückwärts ging ich mit kleinen Schritten Richtung Bett und er folgte mir. Unsere Blicke wichen nicht voneinander. Ich öffnete langsam die Knöpfe seines Hemdes und streifte es über seine Schultern. Zart strich ich mit meinen Fingerspitzen über seine Brust. Ich konnte das heftige Schlagen seines Herzens fühlen und ließ meine Hand dort liegen. Fragend sah er mich an und ich nahm seine Hand und legte sie auf mein Herz, das mindestens ebenso laut klopfte. Er lächelte und küsste mich sanft. Er nahm mich auf seine Arme und legte mich behutsam auf das Bett. Ich öffnete die Knöpfe seiner Jeans, da ich sie nicht alleine herunter bekam, streifte er sie ab und ließ sie auf den Boden fallen. Dann wandte er sich wieder zu mir und sah mir tief in die Augen.

Er wusste, dass seine Küsse und seine kleinen Bisse in meiner Halsbeuge jeglichen Widerstand in mir brachen. Ich stöhnte leise auf und schloss meine Augen, um mich dem was jetzt unweigerlich folgen würde, ganz und gar hinzugeben. Er ließ von meinem Hals ab und als ich leicht meine Augen öffnete, sah ich sein unverschämtes Grinsen. Er wusste genau, was in mir los war und er genoss es. So einfach wollte ich ihm es dann doch nicht machen. Ich riss mich mit dem letzten bisschen zusammen und gab es ihm zurück. Ich setzte mich auf und weidete mich fast an seinem überraschten Gesichtsausdruck. Langsam ließ ich die Fingerspitzen meiner beiden Hände an seinen Seiten von der Brust abwärts gleiten. Jon stöhnte laut auf. Seine Stimme war heißer und brüchig.

Mittwoch, 10. Juni 2009

Kapitel 175

Als wir im Garten angelangt waren, sah Richie auf. Er starrte mich fassungslos an und ließ, er war gerade dabei, den Grill mit Kohle zu füllen, die Tüte fallen.

„Sag mal …. Sandy …. Wo …. Wie ….“ Er holte tief Luft und starrte mich immer noch an.

„Wo in aller Welt sind Deine Krücken ?“ brach es schließlich aus ihm heraus.

„Weg !“

„Wie weg ?“

„Na eben weg halt !“

„Wie eben weg halt ?“

„Eben weg halt bedeutet so viel wie sie sind nicht hier, Rich.“

„Du kannst ohne die Dinger gehen ?“

„Ja, noch nicht den ganzen Tag, aber das schaff ich auch noch.“

Er wischte sich die Hände an seinen Hosen ab und trat strahlend auf mich zu.

„Süße ! Das ist ja wunderbar !“

Ich ließ mich von ihm drücken, in der Hoffnung, dass seine Hände sauber waren und die Abdrücke nachher nicht auf meinem Kleid prangten. Meine Eltern strahlten mich stolz an.

„Ich hab ja gewusst, dass Du nicht klein bei gibst !“

„Ja, Dad, das hab ich halt von Dir geerbt.“

„Aber wenn Du nicht mehr kannst, dann sagst Du es, in Ordnung ?“

„Ja, ich werde es nicht übertreiben.“

Sie hatten alles toll vorbereitet und nun warteten wir, bis Jon nach Hause kommen würde. Und endlich konnten wir das Motorengeräusch eines Autos hören, das kurz darauf verstummte. Ich lief durch die Halle und riss die Haustüre auf. Der Wagen hatte ein paar Meter davon entfernt gehalten und Dave und Tico stiegen gerade aus. Ungeduldig spähte ich nach dem ersehnten Blondschopf, bis er endlich zwischen Auto und geöffneter Tür auftauchte. Jon schaute erstaunt zu mir und ließ seine Tasche fallen, als er sah, dass ich auf ihn zu rannte.

„Du …?“

Ich flog ihn seine Arme und er wirbelte mich im Kreis herum. Wir küssten uns wie zwei Ertrinkende und waren nicht in der Lage damit aufzuhören. Er stellte mich wieder auf den Boden und hielt mich an den Schultern fest. Verwundert hielt er mich ein Stückchen weg und sah mich ungläubig an.

„Du….?“ begann er nochmals, beendete den Satz jedoch nicht. Er schüttelte leicht den Kopf und musterte mich von oben bis unten.
„Seit wann ?“ fragte er schließlich.

„Seit drei Tagen.“

„Ganz ohne Krücken ?“

„Ja, aber noch nicht die ganze Zeit !“

„Süße, das kann ich nicht glauben ! Das ist die schönste Nachricht überhaupt !“

Er hielt mich immer noch an den Schultern und sah mich weiterhin fassungslos, aber mit einem glücklichen Strahlen im Gesicht an.

„Und Du hast nicht mit dem Training übertrieben ?“

„Nein, ich schwöre !“

„Babe, ich bin so froh, ich kann Dir gar nicht sagen wie !“

Er riss mich an sich und küsste mich, als ob es das letzte Mal wäre. Ich hing in seinen Armen und war unsagbar glücklich. Er war hier, ich war ihm auf meinen eigenen Beinen entgegen gelaufen und seine Freude gab mir die Kraft zurück, die ich in den letzten Wochen verbraucht hatte, als ich allein und heimlich trainiert hatte.
Wir bemerkten wieder, dass wir nicht alleine waren und ließen uns los. Richie kam zu uns und klopfte Jon auf die Schulter.

„Na, hast Du doch wieder nach Hause gefunden ? Musstest Du die zwei da unbedingt auch mitbringen ?“

Jon lachte nur und umarmte ihn kurz.

„Wenn ich gewusst hätte, welche Überraschung hier auf mich wartet, wäre ich schon eher gekommen !“

Er strahlte mich wieder an und fasste nach meiner Hand.

„Tja, das hat unser kleiner Sturkopf hier ganz alleine durchgezogen.“

„Ihr habt davon nichts gewusst ?“

„Nein, sie hat es allen verheimlicht.“

„Hey, Du bist mir aber eine !“

Er stupste mich mit seinem Zeigefinger an der Nase, küsste mich auf die Wange und zog mich mit dem Arm an sich.

Langsam schlenderten wir auf das Haus zu und Tini und Tom kamen nun auch heraus um Jon, Dave und Tico zu begrüßen. Immer noch hielt er mich fest in seinem Arm und ich konnte seine Hand an meiner Hüfte spüren.

„Wow ! Was habt Ihr denn hier gemacht ?“ rief er verwundert aus, als er den Garten sah.

„Ist das für mich ? Jetzt kapier ich auch, warum Dave und Tico unbedingt mit hier her wollten.“

Er freute sich wie ein kleines Kind. Ich mich dann allerdings auch, als ich sah, wie herzlich sich meine Eltern und Jon begrüßten. Mam nahm ihn so liebevoll in die Arme und tätschelte ihn, dass es mir fast die Tränen in die Augen trieb. Es wurde nur noch schlimmer, als ich die Umarmung zwischen Dad und Jon sah. Es tat unsagbar gut zu sehen, dass meine Eltern ihn so sehr mochten. Mein Vater ist nun eher der rauere Typ, der sich nicht so leicht zu Gefühlen hinreißen lässt. Und was er dann sagte, brachte mich um meine mühsam aufrechterhaltene Beherrschung.

„Ich bin froh, dass Du wieder da bist. Du hast uns allen sehr gefehlt !“

Tini kam mit einem Tablett voll Sektgläser und reichte jedem eines. Wir stießen zusammen an und Dad gab einen Trinkspruch zum besten.

„Wir trinken auf diesen schönen Sommerabend, auf den Mann, dem er gewidmet sei aber auch auf die Frau, die wieder auf ihren eigenen Beinen stehen kann ! Lasst uns das Leben feiern, auf dass es immer so heiter bleibt, wie heute Abend !“

Wir klatschten alle Beifall und prosteten uns zu. Danach wurde Richie von Mam an den Grill gescheucht und Tom ging ihm zur Hand. Jon zog mich zu sich, als wir uns setzten.

„Du weichst mir heute nicht von der Seite !“

„Nein, werde ich nicht !“

Wir grinsten uns an und mir wurde nach der ganzen Aufregung erst jetzt bewusst, wie gut er aussah. Die Haare ausgebleicht von der Sonne, braungebrannt und unheimlich erholt. Ich bekam Herzklopfen, als ich dachte:
„Was für einen schönen Mann ich doch an meiner Seite habe !“
Die anderen fragten Jon nach seinem Urlaub aus und er erzählte begeistert von seinen Kindern, was sie alles unternommen und erlebt hatten. Es schien, als ob er eine wunderbare Zeit verlebt hatte und ich wusste, dass es ihm gut getan hatte. Die Zeit davor wirkte er oft angespannt und von etwas angetrieben. Unterschwellig zwar, aber doch präsent. Nun war er vollkommen relaxt und strahlte eine innere Ruhe aus, die mich selbst sehr glücklich machte.
Richie und Tom riefen zum Grill und wir standen auf, hungrig wie wir waren. Jon wollte mich zurückhalten, er wolle mir was holen.

„Nein, ich hole es selbst. Es geht schon !“

„Stur !“ brummte Dad. „Ich sage es immer wieder: Stur !“

„Ja, das ist sie,“ gab Jon zurück.

Wir aßen alle mit großem Appetit, schließlich hatten wir auch lange auf das Essen warten müssen. Mam und Tini flitzten herum, Rosita legte uns immer wieder nach und irgendwann war auch unser Vielfraß Richie satt.
Ich entschuldigte mich zur Toilette und stand auf. Vor dem Spiegel überprüfte ich mein Make-up und meine Haare. Als ich herauskam, trat Jon gerade aus der Küche. Rasch ging er auf mich zu und zog mich in seine Arme.

„Süße, ich kann es nicht erwarten, mit Dir allein zu sein !“

„Wir haben Gäste ….“

Dienstag, 9. Juni 2009

Kapitel 174 - Vorbereitungen

Die Tage vergingen und morgen würde Jon endlich wieder zurück kommen. Gestern Abend war er nach New York geflogen, um die Kinder zu seiner Frau zu bringen. Die Nacht verbrachte er bei Tico in New Jersey. Die beiden wollten zusammen mit Dave die alten Clubs, in denen sie früher verkehrten, unsicher machen. Am nächsten Tag hatte er den Rückflug für den Vormittag geplant, so dass er am frühen Abend wieder in LA ankommen würde. Ich freute mich wahnsinnig darauf, ihn wieder in die Arme nehmen zu können, ihn berühren zu können und ihn ansehen zu können. Ich konnte es fast nicht mehr erwarten, bis es soweit war. Außerdem hatte ich eine Überraschung für ihn.

Und dann war der Tag gekommen.

Ich nervte Rosita, ich nervte meine Mam, ich nervte meinen Dad und ich nervte Richie, der bereits die Augen verdrehte, wenn er mich nur um die Ecke kommen sah. Wir hatten eine Willkommens-Party geplant und ich wollte, dass alles perfekt war. Richie dekorierte mit Tini und Tom den Garten, mein Dad bastelte an der Party-Beleuchtung herum, Rosita und Mam bereiteten das Essen vor und Ke Gao war den ganzen Tag damit beschäftigt, mich im Zaum zu halten, damit ich mich nicht überanstrengte. Ich war mörder aufgeregt und mein Adrenalin spielte Achterbahn. Am Morgen hatte ich einen Termin bei Charlene`s, wo ich mich gründlich durchkneten ließ, danach ging`s weiter zum Friseur und zur Maniküre. Nun stand ich ratlos vor dem Schrank und probierte ein Kleid nach dem anderen an. Nur war ich leider mit keinem einzigen so richtig zufrieden.

„Hey, wie sieht`s denn hier aus ?“ fragte Tini fassungslos, als sie den Berg Klamotten auf dem Bett erblickte.

„Tini, ich hab nichts anzuziehen !“ Ich war den Tränen nahe.

„Jon kommt endlich nach Hause, und ich hab nichts, aber auch gar nichts, was mir gefällt und ich will heute Abend so gut wie möglich aussehen !“

„Ja, und wenn Du jetzt noch losheulst, wird es nur um so schlimmer ! Willst Du ihm mit verquollenen Augen gegenüber treten oder mit Deinem schönen, warmen Lachen ? Ach komm her !“

Sie zog mich in ihre Arme und strich mir beruhigend über den Rücken. Dann ließ sie mich plötzlich wieder los und ich sah ihrem Gesicht an, dass sie krampfhaft über etwas nachdachte.

„Ich hab`s ! Zieh Dir weiße Unterwäsche an ! Ich bin sofort zurück !“

Sie flitzte los, rannte die Treppen hinunter und Sekunden später hörte ich die Haustüre ins Schloss fallen. Nur wenige Minuten später stand sie wieder vor mir und hielt mir etwas weißes, in eine Cellophanhülle gepacktes Etwas hin.

„Da ! Das ist genau das richtige !“

Sie zog die Hülle ab und hervor kam ein wunderbares, schönes weißes Kleid. Die Träger waren nicht aus Stoff, sondern aus geheimnisvoll schimmernden Perlen, die sich kurz über dem Rocksaum in einem kleinen Muster wiederholten. Es war hauteng geschnitten, da wir beide jedoch die gleiche Figur hatten, passte es mir wie angegossen.

„Tini, das kann ich nicht von Dir ….“

„Sag mal, spinnst Du ? Wir haben immer alles geteilt, außerdem kann ich das Kleid nie anziehen, weil ich es sowieso keine fünf Minuten schaffe, weiße Sachen sauber zu halten. Also ?“

Ich fiel in ihre Arme und bedankte mich überschwänglich.
Sie drehte mich zum Spiegel um und wir beide musterten mich. Nun war ich zufrieden. Das Kleid saß hervorragend, meine Bräune kam sehr gut zur Geltung. Ich streifte rasch noch meine weißen Sandaletten über und sprühte etwas von meinem Parfüm auf Halsbeuge und Haare.

„Du siehst toll aus, Süße !“ lachte mich Tini an.

„Danke ! Och Mensch, wenn ich nur nicht so aufgeregt wäre ! Es kommt mir vor, als wenn ich das allererste Date mit ihm hätte !“

„Dann lass uns hinunter gehen !“

Samstag, 6. Juni 2009

Kapitel 173

Richie sah total verschlafen aus. Sein Gesicht war zerknittert, die Haare standen in alle Richtungen ab und schwarze Ringe umrandeten seine Augen.

„Tja, so sieht man eben aus, wenn man die ganze Nacht nicht schlafen kann, weil nebenan ein Liebespaar nicht genug voneinander bekommt !“

„Tini und Tom ?“

„Ja, Tini und Tom !“ stöhnte er.

Wir brachen in schallendes Gelächter aus.

„Ich weiß nicht, was die beiden genommen haben. Aber es ist einfach nicht normal, ich kann es nicht fassen ! Meine Wände sind ja schließlich nicht aus Pappe, aber das ?“

Er schüttelte ungläubig den Kopf und nahm dankbar den Kaffee, den er von Mam gereicht bekam, an.

„Danke ! Ich weiß nicht, was in sie gefahren ist. Sie wohnen ja nun schon ein paar Tage bei mir, aber so laut waren die noch nie !“

„Und Du Armer, liegst allein in Deinem Bettchen und hast niemanden !“ Meine Mam tätschelte seine Schulter.

„Ja, das wird wohl das Schlimmste daran sein !“ foppte ich ihn.

Wir zogen Richie noch eine Weile mit seinem Schicksal auf und genossen das Frühstück, dass meine Eltern gezaubert hatten. Dann begannen wir mit den Übungen im Pool, die mir sehr viel besser gefielen, als die im Fitness-Raum. Es war nur leichte Wasser-Gymnastik, aber ich fühlte mich nachher sehr viel lockerer und einfach auch viel fröhlicher. Nach dem Mittagessen ging ich nach oben, um mich eine Weile hinzulegen. Mein Handy fiepste. Die SMS war von Jon.

„Hallo Liebes, ich vermisse Dich schrecklich ! So schön es hier ist, Du fehlst mir. Ich kann es nicht mehr erwarten, Dich wieder in meine Arme zu schließen ! Ich küsse Dich, Jon.“

Aufgeregt drückte ich schnell auf ‚Antworten’:

„Hallo Schatz, Du fehlst mir ebenso. Ich werde von allen sehr umsorgt, aber es ist einfach alles so leer ohne Dich. Die Nächte sind so einsam und so lang. Komm bitte bald wieder ! Tausend Küsse zurück.“

Glücklich döste ich eine Weile vor mich hin, als ich ein leises Flüstern von der Tür her vernahm.

„Süße, bist Du wach ?“

Ich setzte mich auf und lächelte meine Freundin an.

„Hallo ! Ich hab eh nur so vor mich hin geträumt.“

Sie setzte sich an den Bettrand und sah mir direkt in die Augen. Ich musste plötzlich lachen, denn ich wusste genau, was in ihrem Kopf vorging.

„Heute morgen hatte ich eine Beschwerde eines Nachbarn, der sich unheimlich über nächtlichen Lärm aufgeregt hat,“ sagte ich mit dem letzten bisschen Rest Beherrschung.

Tini bekam einen knallroten Kopf.

„Also…. Na, Du weißt doch, wie das …. Es war einfach…. Ich kann es nicht erklären,“ stotterte sie und suchte immer noch nach den richtigen Worten.

Ich prustete lauthals los.

„Hat sich Richie echt beschwert ?“ fragte sie kleinlaut.

„Hey, Tini ! Er hat sich beschwert, aber es war, glaube ich, eher gejammert. Ich kann es ihm auch nicht verdenken. Liegt da so allein im Bett und nebenan geht der Punk ab ! Da würde ich am nächsten Morgen wahrscheinlich auch rumnölen !“

Sie hatte die Augen niedergeschlagen.

„Weißt Du, es war heute Nacht so toll. Und wir konnten nicht voneinander lassen. Ich habe es so sehr genossen, und Tom auch. Wir haben uns einfach gehen lassen. So war es noch nie, ich meine, es war immer schön bei uns. Aber heute Nacht war es vollkommen.“ Ihr entschlüpfte ein leiser Seufzer.

„Ich muss mich wohl bei Richie entschuldigen.“

„Jetzt komm mal wieder runter. Wir sind alle nicht von der verklemmten Truppe, und auch Richie ist nichts menschliches fremd. Sogar meine Eltern haben sich vorhin vor Lachen gebogen, als er so leidend da saß.“

„Deine Eltern ?“ fragte sie entsetzt. „Sag bloß, die haben das auch mitgekriegt ? Oh Gott ! Wie peinlich ist das denn !“

Sie schlug ihre Hände vors Gesicht und spitzte mit den Augen zwischen den Fingern durch.

„Das ist nicht wahr ?“

„Doch !“

Ich brach in schallendes Gelächter aus als ich sie so dasitzen sah und endlich stimmte sie mit ein. Als wir uns wieder beruhigt hatten, sah sie mich ruhig an.

„Ich erzähl Dir hier von einer rauschenden Liebesnacht, und Du ?“

„Ja, ich kann die letzten Wochen nicht gerade in den Top Ten einordnen, was dieses Thema betrifft. Es geht ja nicht mit meinem Rücken.“

„Schon blöd. Vermisst Du das nicht fürchterlich ?“

„Ich kann Dir gar nicht sagen wie. Es gab vorher nur ganz wenige Nächte, die wir beide zusammen verbracht und nicht miteinander geschlafen haben.“

„Echt ?“

„Ja, ehrlich.“

Die Sehnsucht nach ihm, nach seinem Körper, seinen Berührungen, seinen Blicken war in der letzten Woche zeitweise übermächtig geworden. Ich konnte es nicht ertragen, die Musik der Band zu hören. Meinen MP3-Player hatte ich seit Tagen nicht mehr angerührt und sobald Bon Jovi im Radio lief, stellte ich sofort einen anderen Sender ein. Seine Stimme fehlte mir so sehr, dass ich die künstliche nicht hören mochte. So langsam würde ich sicherlich noch ganz kirre werden. Tagsüber konnte ich den Gedanken daran wegwischen, aber in den Nächten ….

Freitag, 5. Juni 2009

Kapitel 172

Szenenwechsel:

Richie kam gerade aus der Dusche, als er das Vibrieren seines Handys bemerkte. Nach einem kurzen Blick auf das Display nahm er schnell ab.

„Hey, Jon ! Vermisst Du mich etwa ?“

„Nein, nicht wirklich !“ gab dieser lachend zur Antwort.

„Warum rufst Du dann überhaupt bei mir an ?“

„Weil ich mir Sorgen mache.“

„Sandy ?“

„Ja. Sie klang eben so komisch, so angestrengt. Du achtest auf sie ?“

„Wie versprochen ! Mach Dir keine Gedanken, Ke Gao weiß, was er tut. Er bremst sie aus, wenn sie sich zuviel zumuten will. Aber sie macht gute Fortschritte, und eigentlich ist sie auch ganz vernünftig. Ich denke, sie weiß selbst ganz gut, wann sie übertreibt.“

„Ich mach mir einfach Vorwürfe, weil ich sie allein gelassen habe.“

„Brauchst Du nicht. Es ist schon okay für sie. Sie wollte es ja auch so.“

„Schon, aber…. Ach, ich komm mir echt übel vor, weil ich es mir hier gut gehen lasse und sie quält sich so.“

„Jon, komm. Sei nicht so streng mit Dir ! Deine Kids brauchen Dich ebenfalls. Sandy weiß das, und das war ihr um einiges wichtiger, als sie selbst.“

„Rich, ich liebe diese Frau. Sie ist unglaublich.“

„Ja, das ist sie. Ich freue mich unheimlich für Euch beide, dass Ihr Euch gefunden habt. Du hast sie eigentlich nicht verdient, weißt Du das ?“

„Danke ! Wenn man solche Freunde hat, wie Dich, braucht man keine Feinde mehr !“

„Bitte. War mir wie immer ein Vergnügen !“

„Dachte ich mir. Du passt weiter auf ?“

„Sicher. Du brauchst mir das nicht jeden Tag zu sagen.“

„Also dann, wir sehen uns.“

„Macht`s gut, Ihr fünf ! Genießt Euren Urlaub und noch viel Spaß.“

„Danke. Bis dann !“

Szenenwechsel:

Ich wünschte meinen Eltern noch eine gute Nacht und begab mich nach oben. Das heißt, ich quälte mich die Treppen hoch. Stufe für Stufe. Oben angekommen, ging ich ins Bad und nahm eine heiße Dusche. Ich stellte den Massagestrahl ein und hielt den Brausekopf so an meinen Rücken, dass die verspannten Stellen davon getroffen wurden. Ich spürte die Wirkung sehr bald und genoss es. Wenigstens konnte ich jetzt nach dem Duschen so lange auf den Beinen stehen, dass ich mich abtrocknen und eincremen konnte, ohne dies auf Krücken oder mit Pausen tun zu müssen. Nachdem ich meinen Lieblingsschnuffel-Anzug angezogen hatte, ging ich auf den Balkon, der an das Schlafzimmer angrenzte und legte mich auf die Sonnenliege. In eine Decke gewickelt sah ich hoch in den nächtlichen Himmel. Die Sterne glitzerten am samtblauen Firmament. Ich erinnerte mich an meine allererste Nacht in diesem Haus. Damals sah ich auch zu diesem Himmel hoch. Dieselben Sterne glitzerten. Ich war dieselbe Frau. Aber damals war ich aufgeregt, voll hoffnungsvoller Erwartung. Nun lag ich hier, allein, Jon war nicht da und vor allem konnte ich nicht richtig gehen, wusste nicht, ob ich es jemals wieder konnte. Die Verzweiflung überkam mich mit ihrer ganzen Macht und ich heulte hemmungslos.
Das Zwitschern der Vögel weckte mich am nächsten Morgen. Ich wickelte mich aus der Decke und stand auf. Über das Geländer gelehnt sah ich hinunter in den Garten und konnte meine Mutter und meinen Vater beobachten, wie sie den Frühstückstisch deckten. Ich beschloss, mich frisch zu machen und hinunter zu gehen.

„Guten Morgen !“ begrüßte ich die beiden.

„Guten Morgen, Liebes.“

„Ist Ke Gao noch nicht wach ?“

Ich sah mich suchend um. Da kam er auch schon auf uns zu geschlendert.

„Hallo !“

„Hallo ! Frühstück schon fertig ? Schön, ich habe nämlich einen Bärenhunger !“ Er setzte sich und schenkte allen Kaffee ein.

„Ke Gao, könnten wir heute vielleicht unser Training ins Wasser verlegen ? Ich würde für mein Leben gerne mal wieder in den Pool.“

„Können wir machen. Ich überleg mir ein paar Übungen, okay ?“

„Okay !“ antwortete ich freudig und biss in mein Marmeladenbrötchen.

Mein Dad hatte sein Grinsen aufgesetzt und seinen Blick auf etwas hinter mir gerichtet. Ich drehte mich um, was oder wen er erblickt hatte und musste ebenfalls grinsen. Unser einsamer Ritter war auch schon aus den Federn gekrochen und kam zu uns herüber.

„Hallo ! Kann ich vielleicht bitte mit Euch frühstücken ?“

„Wie siehst Du denn aus ?“ fragte ich ihn entgeistert.

Donnerstag, 4. Juni 2009

Kapitel 171

„Wie lange willst Du eigentlich noch so da stehen ?“

„Ach Richie !“

Ich drehte mich zu ihm um und fiel ihm heulend in die Arme.

„Ich …. hasse diese blöden …. Abschiede ! Ich will …..das ….nicht ! Kann er nicht .... wieder…. einfach ….“

„Liebes, jetzt beruhige Dich doch ! Er kommt doch wieder !“

„Ja…. Aber ….. Drei Wochen….. Das sind….. entsetzlich…. viele…. Tage…..“

Richie drückte sich fest an mich und strich mir über den Rücken. Wie schon oft war er mein Rettungsanker. Er führte mich zurück ins Wohnzimmer und ließ mich weinen.

„Geht’s wieder ?“

„Nein ! Nie mehr ! Bis er wieder da ist !“

Er grinste mich an.

„Schätzchen, die drei Wochen sind bestimmt bald vorbei. Du musst Dich einfach beschäftigen, damit Du nicht die ganze Zeit nur daran denkst. Was hältst Du davon, wenn ich bei Deinen Übungen mitmache ?“

„Richie, Du würdest Dich kaputtlachen, wenn Du wüsstest, wie mein Training momentan aussieht !“

„Nein würde ich ganz bestimmt nicht !“

„Doch, das würdest Du ! Ganz sicher !“

Ich musste nun ebenfalls grinsen, als ich mir Richie dabei vorstellte.

„Siehst Du ! Nun lächelst Du wenigstens wieder ! Aber ich könnte doch einfach mit im Fitness-Raum dabei sein und für mich trainieren, was meinst Du ? Oder stört Dich das ?“

„Nein, natürlich nicht ! Aber Du lachst mich nicht ein einziges Mal aus !“

„Nein, versprochen !“

Und so machten wir es. Richie wich mir in den kommenden Tagen fast nicht von der Seite. Meine Eltern waren ebenfalls ständig präsent. Mittlererweile war mir Ke Gao sehr vertraut geworden. Die Therapie mit ihm war zum ständigen Gedanken geworden, sie war mir in Fleisch und Blut übergegangen und bestimmte meinen Tagesablauf. Er tat mir gut, mit seiner ruhigen, sicheren Art. In allem zeigte er mir den Ernst, mit dem er seinen Job machte. Was allerdings nicht hieß, dass es mit ihm nicht auch lustig zugehen konnte. Wir lachten oft und viel, aber es war ein anderer Humor, den er hatte. Für den richtigen, sinnlosen Unfug war wie immer Richie zuständig.

Sicher kamen meine Jungs vorbei, Tini und Tom wohnten weiterhin bei Richie im Haus und schauten ebenfalls nach mir. Aber in meinem Leben fehlte jemand. Jon.

Nie hätte ich geglaubt, dass er mir so wahnsinnig fehlen würde. Zeitweise vermisste ich ihn so sehr, dass es fast schon körperlich weh tat. Er rief jeden Abend an, wir hatten eine feste Zeit vereinbart.
Sobald er sich nur einige Minuten verspätete, machte ich mir die absurdesten Gedanken. Es war ziemlich schwer für mich, mir ihm gegenüber nichts anmerken zu lassen. Ich wollte ihm den Urlaub nicht vermiesen und wollte, dass er sich wohl fühlte und sich wegen mir keine Sorgen machte.

„Hallo Süße ! Wie geht es Dir ?“

„Ganz gut, und Euch ? Habt Ihr viel Spaß ?“

„Ja, unheimlich ! Hey, es ist so toll, die vier um mich zu haben. Ich habe sie ganz schön vermisst und sie mich auch, sie hängen nämlich an mir wie die Kletten. Aber es ist toll hier. Die Kids sind aus dem Wasser fast nicht mehr raus zu kriegen, und wenn, dann nur, weil sie Hunger haben. Gestern haben sie an einem Basketball-Turnier mitgemacht und Jacob hat mir seiner Mannschaft klar gewonnen. Steph ist eigentlich die pflegeleichteste, sie liest viel und relaxt in der Sonne, aber die Jungs….“

Er stöhnte leicht auf.

„Aber Du ? Was machen Deine Beine ?“

„Es wird von Tag zu Tag besser, die Lähmungen werden seltener und ich kann schon viel länger stehen.“

„Du überanstrengst Dich aber nicht ?“ fragte er besorgt.

„Nein, Ke Gao würde das niemals zulassen. Er bremst mich sofort aus, wenn er merkt, dass es zuviel wird. Außerdem passt Richie auch noch auf mich auf, er trainiert nämlich mit.“

„Rich macht Krankengymnastik ?“ fragte er lachend und ich konnte den Spott darin deutlich hören.

„Nein, er macht sein normales Programm an den Geräten, aber er ist immer pünktlich zur Stelle.“

„Das sieht ihm wieder ähnlich ! Kaum bin ich aus dem Haus…“

„Jon ! Was denkst Du wieder ? Ich bin wirklich sehr froh, dass er da ist.“

„Ich auch, Kleines. Sonst wäre ich sicher nicht gefahren.“

„Meine Eltern sind ja auch noch da.“

Im Hintergrund ertönte Kindergeschrei. Die Jungs stritten anscheinend um irgend etwas.

„Honey, ich muss Schluss machen, bevor sich die Nachbarn noch beschweren,“ sagte er mit gespieltem Ernst.

„Ja, ich hör es schon.“

„Ich liebe Dich.“

„Ich liebe Dich auch.“

„Bye, und schlaf schön.“

„Du auch, und träum von mir.“

„Du ahnst nicht, wie oft.“

Wir legten beide auf. Die Tränen schossen mir in die Augen, als ich das Handy auf das kleine Tischchen legte. Da spürte ich eine Hand auf meiner Schulter. Ich drehte mich um und ließ mich von den Armen umschließen, die mich schon mein ganzes Leben lang getröstet hatten.

„Armer Schatz ! Nun wein doch nicht !“

„Ach Mam, ich hasse diese Trennungen ! Wir sind kaum zusammen, da sind wir schon wieder auseinander.“

„Er kommt doch bald wieder, die Hälfte hast Du ja bereits herum.“

„Es kommt mir vor, als wenn die Zeit, die wir füreinander haben, doppelt so schnell vorbei geht, wie die Zeit, die wir getrennt sind.“

„Das ist immer so, wenn man verliebt ist. Da tickt die Uhr einfach schneller.“

Mittwoch, 3. Juni 2009

Kapitel 170 - Wieder ein Abschied

Die nächsten Tage war ich die meiste Zeit mit Ke Gao zusammen. Wir begannen mit leichten Bewegungsübungen, die mich normalerweise zum Lachen gebracht hätten. Aber so hatte ich einige Schwierigkeiten, dieses Gummiband, das unter meinen Füßen gespannt war, mit den Armen über meine Schultern zu ziehen. Ke Gao war ein strenger Therapeut, der Schlampereien nicht duldete. Übungen, die ich nicht genauso ausführte, wie er angeordnet hatte, ließ er mich zur Strafe wiederholen. Er gab mir nur leichte Gewichte, mit denen ich meine Rückenmuskulatur aufbaute. Die Lähmung in meinen Beinen war noch da, aber die Zeitspannen, in denen sie mich schachmatt setzten, wurden immer länger.

So verging die Zeit und der Augenblick war gekommen. Jon und mir stand der Abschied bevor. Er wollte zuerst nach New Jersey fliegen, um seine Kinder abzuholen und von dort dann gemeinsam auf die Bermudas. Die ganzen letzten Tage hatte ich jeglichen Gedanken daran immer wieder unwillig aus meinem Kopf gestrichen. Nun musste ich mich jedoch dem ganzen stellen. Seine Koffer standen gepackt in der Halle. Wir standen voreinander, ich leider immer noch auf den Krücken. Jon zog mich sanft in das Wohnzimmer, wo ich mich setzen konnte. Beide schauten wir uns traurig an und keiner wusste, was er dem anderen sagen sollte.

„Sandy, ich….“

Ich legte im den Zeigefinger auf die Lippen und nahm seinen Kopf in meine Hände. Ich gab ihm einen Kuss und er erwiderte ihn. Wir entfernten uns nur wenige Zentimeter voneinander und sahen uns tief in die Augen. Er las in meinen und ich in seinen. Die Zeit spielte keine Rolle mehr, die Welt um uns herum existierte nicht mehr. Wir versanken ineinander und vergaßen alles um uns herum.

„Hmhm, Jon, es ist soweit, der Fahrer wartet.“

Rosita war hereingekommen ohne dass wir sie bemerkt hatten.
Jon half mir aufzustehen und nahm mich in seine Arme.

„Vergiss mich nicht, mein Schatz.“ Er lächelte mich an.

„Und Du mich nicht !“

„Du passt auf Dich auf, versprich mir das !“

„Versprochen.“

„Hoch und heilig ?“

„Jaaahhh !“

„Und Du übertreibst nicht ?“

„Nein, Jon. Auch versprochen !“

„Ich ruf hier alle an und frag sie. Und wehe, ich höre, dass Du nicht auf Dich achtest.“

Er drohte mir im Spaß mit dem Zeigefinger. Ich schnappte danach und küsste ihn wieder.

„Du passt aber auch auf Dich auf !“

„Meine vier Racker werden mir wahrscheinlich den letzten Nerv rauben, alle vier an einem Ende von mir ziehen und ich werde so gut wie gar nicht ausschlafen können. Aber sonst kann ich schon auf mich aufpassen,“ scherzte er.

Er küsste mich ein letztes Mal, zog mich ein letztes Mal in seine Arme und flüsterte mir leise ins Ohr.

„Du fehlst mir jetzt schon. Ich weiß nicht, wie ich die Zeit ohne Dich überstehen soll.“

„Ich liebe Dich.“

„Ich liebe Dich auch.“

Wir lösten uns voneinander und gingen langsam zusammen hinaus in die Halle. Seine Koffer waren bereits eingeladen und er zögerte.

„Nun geh schon !“ sagte ich unter Tränen und meine Stimme brach.

Er warf mir eine Kusshand zu und ging.
Noch lange stand ich dort und starrte auf die geschlossene Haustüre. Irgendwann spürte ich eine Hand auf meiner Schulter.

Dienstag, 2. Juni 2009

Kapitel 169

„Schläft Sandy ?“

„Ja, tief und fest.“

„Jon, ich bin froh, dass sie mit Dir zusammen ist. Sie ist ein ganz anderer Mensch geworden. Ich habe sie lange nicht mehr so fröhlich gesehen, trotz ihrem Handicap momentan.“

Sie holte tief Luft.

„Nach der unleidlichen Geschichte mit Joe dachten wir, sie kommt da niemals mehr heraus. Sie war völlig verschlossen, nahm nicht mehr am wirklichen Leben teil. Manchmal hatten wir das Gefühl, sie lebt vollkommen in einer anderen Welt. Und dann ihre Ausbrüche ! Teilweise rastete sie dermaßen aus, dass keiner mehr wusste, wie man mit ihr umgehen sollte. Das schlimmste jedoch war, dass ihr die Tränen herunter liefen, ganz plötzlich, ganz still. Sie saß inmitten von Menschen und die Tränen liefen und liefen. Es zerriss mir fast das Herz.“

„Ich habe davon gehört. Ja, und teilweise habe ich das auch abbekommen. Sie hat einen ganz schönen Knacks davon getragen. Es tut mir sehr leid für sie.“

Die beiden schwiegen. Ich war hellwach. Aber was sollte ich tun ? Ich kam mir schäbig vor, wieder zu lauschen, aber ich konnte doch schlecht jetzt aufstehen und hinausgehen ?

„Du liebst sie sehr ?“

„Mit allem, was ich habe ! Ich wurde fast wahnsinnig, als ihr der Unfall passierte. Mir ging alles, was wir bisher zusammen erlebt hatten, durch den Kopf. Ich fühlte mich so machtlos und klein, als wir im Krankenhaus warteten, bis sie wieder zu sich kam. Was hätte ich getan, wenn es schlimmer gewesen wäre ? Wenn sie schwerer verletzt gewesen wäre ? Sonst stand ich immer am Bühnenrand, wenn sie aufgetreten ist. Nur dieses eine Mal, und nur wegen diesem blöden Regen, war ich nicht dabei. Vielleicht hätte ich….“

„Jon, Du hättest es nicht verhindern können ! Solche Dinge passieren nun mal.“

„Ja, aber was, wenn sie doch etwas davon trägt ? Sie ist ein so aktiver Mensch. Ich hoffe inständig, dass sie wieder richtig gehen kann. Ich habe echt keine Ahnung, was ist, wenn es nicht der Fall sein sollte.“

„Ach komm, sie ist zäh. Du wirst sehen, wenn Du aus dem Urlaub kommst, hat sie bestimmt Fortschritte gemacht. Sie kann unglaubliche Kräfte entwickeln, wenn sie etwas unbedingt will.“

„Ich bekomme immer noch nicht diese Bilder aus dem Kopf. Nachts wenn ich einschlafe, sehe ich sie immer wieder vor mir. Wie sie auf der Trage liegt. Wie sie in den Krankenwagen geschoben wird. Wie sie im Bett liegt, ohne Bewusstsein. Dazwischen sehe ich ihr lachendes Gesicht, wie sie auf der Bühne herumwirbelt, ihre Augen, wenn sie mich küsst. Oh mein Gott, wenn ich ihr nur helfen könnte ! Und dann habe ich nichts besseres zu tun, als wegzufahren.“

„Ich kann Dich verstehen. Wir haben uns auch Vorwürfe gemacht, weil wir nicht bei ihr sein konnten und so weit entfernt waren. Aber sie würde es sich nicht verzeihen, wenn sie in dieser Sache nicht zurück stehen würde. Sie will es so.“

„Meinst Du wirklich ?“

„Ja. Und sie meint es auch ganz sicher so.“

Ich hörte Geraschel, vermutlich nahmen sie sich in die Arme.

„Danke Dir !“ sagte Jon.

„Mach Dir nicht so viele Gedanken, sie macht das schon.“

„Hoffentlich !“

„Ich geh mal nach ihr schauen.“

Die Tür öffnete sich leise und sie setzte sich an mein Bett. Sanft strich sie mit ihrer Hand über meinen Kopf. Ich bewegte mich und gab vor, aufzuwachen.

„Hallo.“

„Hallo, Kleine. Wie fühlst Du Dich ?“

„Ach, eigentlich schon besser. Die Massagen und das Öl heute morgen haben mir ganz gut getan.“

„Na siehst Du ! Ke Gao weiß, was er tut. Er macht auf mich einen sehr guten Eindruck.“

„Ja, den macht er auch auf mich.“

Sie lächelte mich an, wie nur eine Mutter lächeln kann.

„Mam, kannst Du mir einen Gefallen tun ?“

„Sicher, welchen denn ?“

„Kannst Du bitte mit Jon reden, dass er wirklich mit seinen Kids in Urlaub fährt ? Ich will auf keinen Fall, dass er wegen mir darauf verzichtet.“

„Das kann ich machen, wenn es Dir so wichtig ist.“

„Danke !“