Kapitel 38 - Das Konzert - Der Anruf

Im Circus Maximus war es unerträglich heiß. Die üblichen Vorbereitungen im Backstage-Bereich waren im Gange. Ich wurde von meinen beiden Mädels auf Vordermann gebracht und wir aßen im Stehen noch eine Kleinigkeit. Die Zeit verging wie im Flug und wir mussten dann auf die Bühne. Schade, ich hatte die Gelegenheit verpasst, wie sonst alleine auf den Stufen zu sitzen und das Stadion auf mich wirken zu lassen. Daher war ich von der Kulisse ziemlich überrascht. Es war atemberaubend ! Aber Marc legte schon los und ich merkte wieder den Ruck, der jedes Mal über mich kam, wenn ich die Bühne betrat. Wir spielten unsere Setlist. Dann war es so weit.
Die zarten Gitarrenklänge von Endless Love erklangen hinter mir. Joe.
Die Menge tobte, als sie ihn erkannte. Das Publikum wusste genau, was Sache war. Ich hatte noch nie einen Love-Song für einen bestimmten Mann gesungen, obwohl die Idee und die Lyrics zu diesem von mir alleine stammten.
Aber es war etwas völlig anderes, diesen Song mit ihm zu performen. Und die Menschen merkten, dass ich nur für ihn sang. Ehrlich gesagt, war ich über meine Stimme erstaunt, sie klang irgendwie anders, als sonst. Ich stand ganz vorne, am Bühnenrand. Ich sah die Menschen, sah das traumhaft schimmernde Licht, und doch hatte ich nur sein Gesicht vor meinen Augen. Als es zu Ende war, war es mucksmäuschenstill. Joe kam auf mich zu, schob seine Gitarre auf den Rücken und zog mich mit einem Arm an sich. Und dann küsste er mich mit einem seiner nie enden wollenden Küsse.
Das Publikum tobte. Wir beide hatten jedoch nur Augen füreinander. Er fesselte mich mit einem zwingenden Blick. Als wir uns endlich voneinander lösen konnten, rief ich ins Mikro:

„Ladies und Gentleman, Mister Joe Perry !“

Er legte eines seiner berühmten Gitarren-Soli hin.
Mit Tränen in den Augen verließ ich die Bühne. Nun war ich wirklich geschafft.

„Ja, die Magie zwischen zwei Menschen, die sich lieben ! Sandy, das war traumhaft ! Ich habe jetzt noch Gänsehaut überall !“

Tini lief mir mit ausgebreiteten Armen entgegen.

„Ich brauch dringend etwas zu trinken, ich bin total ausgetrocknet.“

Sie reichte mir ihre Wasserflasche, die ich in einem Zug leer trank. Meine vier Jungs und Tom beglückwünschten mich.

„Hey, da hat`s aber mächtig gekribbelt auf der Bühne“, lachte Tom. „Ich bin froh, Dich so zu sehen. Er tut Dir gut, Süße ! Und ich bin mächtig erleichtert, dass wir beide keinen Groll gegeneinander hegen. Aber das gerade eben, das wird die Zeitungsfuzzis ordentlich in`s Grübeln bringen.“

„Sind sie, oder sind sie nicht ? Lieben sie sich, oder war das nur Show ? Am allerbesten wäre, sie würden Sandy und Steven auch noch knutschend irgendwo vorfinden ! Dann wäre das Chaos perfekt !“ lachte Tini.

Als Aerosmith ihre letzte Zugabe gespielt hatten, kam Joe von der Bühne. Eingehüllt in einen schwarzen Bademantel lächelte er mich an.

„Was war das denn ? Habe ich da etwa Dein Herz gesehen ?“

„Ich glaube schon !“

Im Wagen, der uns zurück in unser Hotel brachte, kam mir seine Bemerkung wieder in den Sinn. Ich hatte ihm noch nie gesagt, was ich für ihn empfinde.
Frisch geduscht und umgezogen, trafen wir uns mit den anderen zu einem kleinen Chill-Out an der Hotelbar. Steven war total begeistert von unserem Duett und wollte mich gar nicht mehr loslassen. Die Stimmung war gelöst, aber als ich merkte, dass Joe fehlte, machte ich mir dann doch Sorgen. Ich ging los, um ihn zu suchen. Ich fand ihn rauchend auf einem der großzügigen Balkons.

„Hi. Stör ich Dich ? Willst Du alleine sein ?“

„Nein, Du störst mich nicht.“

Er streckte seinen Arm nach mir aus.
Wir schwiegen eine Weile. Er schaute in den Sternenhimmel.

„Joe, ich muss Dir was sagen.“

Er sah mich überrascht an.

„Ich hab noch nie ein Liebeslied für einen bestimmten Mann gesungen. Ich hab Endless Love auch bisher nicht für Dich gesungen. Aber heute Abend, als Du das Intro dazu gespielt hast, war in mir alles vollkommen auf den Kopf gestellt. Ich fand es wunderschön und ich war echt traurig, als der Song vorbei war.“

Er lächelte.

„Ich habe schon gemerkt, dass Du den Song anders singst als sonst. Und ich habe Deine Blicke gesehen. Die restlichen 59.999 übrigens auch.“

Abwartend sah er mich an. Aber ich konnte ihm die drei Worte nicht sagen. Ich wollte es unbedingt, aber ich konnte es nicht.
Er nahm mich wortlos in seine Arme und ich versank wieder einmal in seinem Kuss.

„Ich bin ziemlich erledigt, ich würde gerne schlafen gehen. Kommst Du mit ?“ fragte er und wandte sich zum Gehen.

Ich reichte ihm meine Hand und wir gingen in unsere Suite.
Als ich aus dem Bad kam, lag er bereits im Bett. Die Ketten auf seiner Brust schimmerten sanft im Schummerlicht. Leise, um ihn nicht zu wecken, legte ich mich neben ihn.
Mein Leben war verrückt. Es war einfach zu perfekt um wahr zu sein. Ich grübelte noch eine ganze Weile vor mich in, als er nach mir griff und flüsterte:

„Komm her zu mir, ich will Dich spüren.“

Das Klingeln meines Handys riss mich frühmorgens aus meinen süßen Träumen. Ich nahm sofort ab, um Joe nicht zu wecken.

„Hallo Tochter ! Sag mal, hast Du uns völlig vergessen ?“

Wie immer, wenn er sauer auf mich war, sprach er Englisch.

„Hi Dad ! Ich hab Euch nicht vergessen, ich hatte leider sehr viel zu tun.“

„Ich hab es gelesen !“ Er machte eine Pause. „Ist er es wert, dass Dich die Zeitungen halbnackt abbilden ?“

„Ich war nicht halbnackt.“

„Also, die Bilder, die in Deutschland erschienen sind, zeigen Dich in einer eindeutigen Situation. Habt Ihr es wenigstens bis in Euer Hotelzimmer geschafft, oder kann ich das morgen lesen ?“

Ich ging auf den kleinen Balkon vor unserem Zimmer, da ich nicht wollte, dass Joe vom Gespräch etwas mitbekam.

„Dad, wir dachten, wir wären alleine. Die Paparazzi haben uns ohne unser Wissen geknipst !“

„Das ändert nichts an der Tatsache, dass die halbe Welt nun Deinen nackten Hintern kennt.“

Ich versuchte mich zu verteidigen.

„Im Bikini sieht man auch nicht weniger !“

„Sandy, ich weiß genau, was nach diesen Fotos passiert ist und Deine Mutter auch. Liebt er Dich wenigstens, oder ist das wieder eine Deiner Vier-Wochen-Stories ?“

„Nein, das glaube ich nicht. Es ist dieses Mal etwas ganz anderes, hoffe ich jedenfalls.“

„Deine Mutter meint, er sieht gefährlich aus.“

„Och komm Dad, Du hast in jungen Jahren auch nicht gerade den Eindruck eines Buchhalters hinterlassen !“

„Ihr kommt ja jetzt die Landkarte wieder hoch und wenn Ihr in München seid, möchte ich diesen Mann kennen lernen.“

„Ja, ich denke schon, dass sich ein Besuch bei Euch einrichten lässt.“

„Nein, wir kommen zu Euch. Schließlich wollen wir auch mal wieder sehen, was unsere Tochter so macht. Du kannst das doch sicher arrangieren, oder ?“

„Du willst uns live sehen – so richtig im Stadion ?“

„Ja, aber nur, wenn Du Dich in Zukunft richtig anziehst.“

Ich versprach ihm, mich etwas vorzusehen und wir legten auf. Als ich mich umdrehte, stand Joe an den Tisch gelehnt und spielte mit einem Apfel.

„Dein Dad ?“

„Ja, das war mein Dad und er hat mir gehörig die Leviten gelesen, bezüglich der Fotos. Und außerdem will er Dich kennen lernen.“

„Okay, ist verständlich. Die Tochter ist ja immer der Augapfel des Vaters.“

Er lächelte still in sich hinein. Mir wurde klar, dass Joe nicht nur den Schluss des Gespräches gehört hatte. Als ob er meine Gedanken lesen könnte sagte er:

„Du musst nichts weiter sagen, es ist okay.“

Er drehte sich um und ging Richtung Bad. Als ich kurz darauf das Wasser rauschen hörte, bestellte ich beim Zimmerservice unser Frühstück und ging ebenfalls ins Bad.
Da lag er, umgeben von riesigen Schaumwolken, in der Badewanne und winkte mich mit dem Zeigefinger zu sich. Da war sie wieder, die Magie, die mich immer und immer wieder zu ihm zog und mich ihm völlig auslieferte.
Ich stieg zu ihm in die Wanne und ließ mich von seinem Streicheln und seinen Küssen verwöhnen. Mittendrin flüsterte Joe heißer:

„Wolltest Du mir noch etwas sagen ?“

Ich schaute ihm in seine dunklen, unergründlichen Augen.
Und dann kam es endlich über meine Lippen:

„Ich liebe Dich.“

Er schaute mich weiter an, griff in meine Haare und küsste mich.