Montag, 18. Juli 2011

Kapitel 293


Was, wenn er mir jetzt sagen würde, dass alles ein Irrtum gewesen war, dass ich wieder gehen solle ? Ich beachtete den tiefen Stich, der sich durch mein Herz bohrte, nicht.

Dann würde ich eben wieder einpacken, gehen, weiter ziehen. Es wäre mal wieder ein weiteres Fiasko gewesen…..

Ach quatsch, Sandy, was reimst Du Dir nur wieder zusammen ? gemahnte ich mich zur Ruhe. Warum hätte er dann das Mini-Konzert veranstaltet, den Ring gekauft, all die lieben Worte gesagt ?

Noch unruhiger geworden, griff ich nach meinen Zigaretten und ging auf die Terrasse hinaus. Meine Knie waren mittlererweile so zittrig, dass ich froh war, dass ich mich auf den nächst besten Stuhl fallen lassen konnte. Sein Gesicht trat vor meine Augen, ich hatte vorhin nur allzu deutlich gesehen, wie seine Wangenknochen mahlten. Das verhieß nichts Gutes. Seine Miene war nahezu ausdruckslos gewesen. An seine Stimme wagte ich nicht einmal zu denken….

Irgendwie hatte ich ein ganz und gar ungutes Gefühl, gegen das ich mich nicht wehren konnte. Und wie so oft, spielten meine Gedanken Jojo auf der Achterbahn.

Jedoch spürte ich auch diesen Zorn in mir aufsteigen, welcher mir - so widersinnig es auch klingen mochte - wieder etwas Klarheit brachte. Auf gar keinen Fall würde ich mich wegen diesem Vorfall verbiegen lassen. Und ich würde mir auch nichts von ihm verbieten lassen.

Wortlos stellte er die beiden Kaffeetassen auf den Tisch und setzte sich mir gegenüber. Er schlug ein Bein über das andere, stütze die Ellbogen auf den Lehnen auf, legte die gespreizten Hände aneinander vor seinen Mund und sah mich abwartend an.

„Was geht eigentlich zwischen Dir und Richie vor ?“

Booom. Zwischen mir und Richie ? Was zur Hölle wollte er damit sagen ? Bis jetzt war ich in der Annahme gewesen, ich wäre bereits komplett verwirrt, doch ich hatte mich getäuscht.

„Zwischen mir und Richie ?“

„Jep.“

„Was meinst Du ?“

„Irgendetwas verheimlicht Ihr mir doch ?“

„Wir verheimlichen Dir etwas ?“ fragte ich ratlos.

„Kannst Du mir eine meiner Fragen vielleicht auch ohne Gegenfrage beantworten ?“ fragte er mit einer gehörigen Portion Ungeduld in seiner Stimme.

„Ich versuche es…. Aber ich weiß wirklich nicht, was Du meinst…..“

„Also gut. Dann zäumen wir das Pferd von vorne auf.“

Sein durchdringender Blick ließ mich zum Teenager werden. Nein, ich kam mir vor wie ein kleines Kind, das etwas angestellt hatte und nun gerügt wurde.

„Du hast mitbekommen, dass ich ständig Anrufe von dieser durchgeknallten Person bekomme ?“

„Ja, hab ich….“

„Wie kommt diese Frau an meine Nummer ?“

„Ich hab keine Ahnung….“

„Sandy, es hat keinen Sinn, ihn zu schützen. Ich weiß genau, dass sie die Nummer von ihm hat. Was ich jetzt noch wissen will, ist, wer ist sie und wie konnte das passieren ?“

„Du weißt….. ?“

„Wollen wir das Gegenfragen-Spiel noch stundenlang treiben ?“ fragte er genervt.

„Nein, natürlich nicht….“

„Also, dann raus mit der Sprache !“

Er wusste es. Woher auch immer. Es hatte keinen Zweck, dass ich Ausreden erfand, geschweige denn, dass ich ihn anlog. Das wollte ich auf gar keinen Fall. Ich überlegte rasend, wie ich es ihm beibringen konnte, so dass Richie nicht allzu schlecht dabei wegkam.

„Okay, wenn Du immer noch darüber nachdenkst, wie Du ihn retten kannst, lass es ! Ich habe von einer Detektei die Nummer checken lassen, ich hab ihre Adresse, sogar Fotos von ihr. Eigentlich weiß ich alles, außer, warum Richie so ein Vollpfosten war und ihr die Nummern gegeben hat.“

„Jon, er hat oder hatte eine Affäre mit ihr. Er sagte mir, dass er mit ihr nichts mehr zu tun haben will, weil er außer den Bettgeschichten nichts mit ihr anfangen kann. Leider verfolgt sie ihn und….“

„Wie ist sie an die Nummern gekommen ?“ bohrte er unerbittlich nach.

„Sie hatten getrunken, waren wohl ziemlich wild bei der Sache, jedenfalls Richie. Sie wollte es unbedingt in der Wanne tun, Richie konnte es nicht mehr erwarten, er stolperte und fiel mit der Jeans und dem Handy ins Wasser, sie wollte es am nächsten Tag reparieren lassen und er hat es ihr gegeben.“

Wieder dieser durchdringende, alles scannende Blick….. Nur, dass er jetzt seine Hände um die Lehnen gelegt hatte. Die Knöchel traten schneeweiß hervor. Die Anspannung war nicht mehr nur zu spüren, sie war körperlich zu sehen.

„Ich könnte ihn umbringen !“

„Sei nicht so streng mit ihm, er wusste einfach nicht, was er damit auslösen würde,“ bat ich.

Doch er schaute mich noch immer so an.

„Du kannst Dir doch eine andere Nummer geben lassen….“

„Das kann ich schon, und übrigens all die anderen Leute auch ! Sie ruft jeden, aber auch wirklich jeden, der im Speicher war, an. Unsere Familien, unsere Freunde, unsere Angestellten, Geschäftspartner ! Bonnie sitzt in New York und tut den lieben langen Tag nichts anderes, als sich um Schadenbegrenzung zu bemühen. Das geht so nicht !“

„Schau, er war ganz einfach betüdelt….“

„Sandy, er war nicht ganz einfach betüdelt, er war wie schon so oft ganz einfach besoffen !“

„Das ist Dir natürlich noch nie passiert !“

„Doch, aber wenn, dann dreh ich nicht solche Dinger ! Und außerdem brauche ich nicht schon Morgens einen Drink, bevor ich mich an den Frühstückstisch setze !“

Auch das wusste er. Ich brauchte also nicht mehr um den heißen Brei herum reden oder Ausreden erfinden. Wir konnten offen darüber sprechen.

„Aber wir müssen ihm doch helfen….“

„Was glaubst Du, habe ich schon versucht ?“

Der bittere Unterton in seiner Stimme machte mich vollends sprachlos. Es ging also schon länger, es war ein noch größeres Problem, als ich zu hoffen gewagt hatte.

„Ich habe davon nie etwas geahnt, Jon. Als Fan war ich immer so stolz darauf, dass Ihr sauber seid, dass es bei Euch keine solch fürchterlichen Exzesse wie bei anderen Bands gab. Obwohl ich ja wirklich nichts dafür getan hatte, war ich stolz. Stolz auf Euch.“

„So kann man sich täuschen.“

Er stand auf und schaute reglos in den Garten.

„Und dann kommst Du noch mit 20 Kisten Bier an.“

„Willst Du mir etwa vorwerfen, dass ich daran schuld bin, dass er trinkt ?“ fragte ich fassungslos.

„Nein, aber Du unterstützt ihn damit.“

„Ich mache was ?“

„Du animierst ihn mit solchen Aktionen.“

„Das ist doch völliger Blödsinn ! Jetzt komm mal wieder runter ! Das Bier ist für meine Band gedacht gewesen. Außerdem ist Dein Haushalt ebenfalls mit Alkoholika bestückt. Richie ist ein erwachsener Mann, Du glaubst doch nicht im Ernst, dass Du allen Stoff dieser Welt vor ihm verstecken kannst ?“

„Nein, das dachte ich anfangs ja auch….“

„Außerdem gilt bei uns in Bayern Bier nicht als Alkohol !“

Mit diesem kleinen Witz wollte ich die Stimmung etwas entspannen, doch er verstand ihn nicht.

„So schlecht bin ich in Geografie auch nicht, dass ich nicht weiß, dass Du aus Schwaben kommst und nicht aus Bayern !“

„Jon, hör auf mit dem Scheiß ! Was soll das ?“

Wir beide hatten unsere Stimmen erhoben und waren ziemlich laut. Wir standen voreinander und hatten die Arme in die Hüften gestemmt.

„Außerdem, wenn Du so gut in Geografie bist und so genau weißt, wo ich her komme, dann weißt Du auch, dass das zur Grenze von Bayern ist !“ giftete ich.

„Es ist absolut kindisch, was wir beide hier abziehen !“

„Ja, Jon-Schatz ! Das ist es wirklich !“

„Du hast es als Dein USA-Überlebenskit bezeichnet !“

„Ach komm ! Das war ein Witz, ein Scherz !“

„Der natürlich nicht ernst gemeint war !“

„Das sind Witze im Allgemeinen nicht ! Aber zu Deiner Info, es ist tatsächlich mein Überlebenskit hier, Du weißt doch gar nicht, was es bedeutet, alle Brücken abzubrechen und auf einem anderen Kontinent ein neues Leben anzufangen ! Und Du weißt als Amerikaner auch nicht, was Traditionen bedeuten ! Und Du hast keine Ahnung davon, wie gut so ein Bier nach Feierabend tut, weil Ihr hier ja nicht einmal das Wort Feierabend kennt !“

Noch immer standen wir so voreinander, die Angriffslust in den Augen, bereit dem anderen weh zu tun, sich zu verteidigen, was auch immer. Ich spürte, dass wir kurz vor der Eskalation standen und dass es so nicht weiter gehen durfte. Doch ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich hatte es übertrieben, hatte zuviel gesagt. Auch einiges, das ich so niemals hätte sagen dürfen, weil es nicht stimmte, weil es ihn verletzen musste.

Ich wollte weg und drehte mich um.

6 Kommentare:

Sam hat gesagt…

"Was geht eigentlich zwischen Dir und Richie vor?".... man mir ist vor Schreck gleich der Atem gestockt.... musste mich erstmal kurz verschnaufen..... das ist ja gleich wieder von 0 auf 100....*fg*

Und schon gings holderdiepollder weiter..... ich bin vielleicht fertig....*schnauf* Was ist nur los mit Sandy ??? Sagt sie aber auch wiedermal das falsche... oder besser zuviiiiiiiiel. Es ist nicht immer gut wenn man sein Herz auf der Zunge trägt ( hab ich auch schon schmerzlich festgestellt...)

Und wie immer weiß Jon natürlich von allem.... dem Handy...Richies Alkoholproblem... aber warum hat er nicht schon eher mit Sandy darüber gesprochen?????

Bin hin und her gerissen.... Was für eine tolle Story... ich liebe es. Vielen Dank für diesen grandiosen Post....

Knuddels Sam

@missi: natürlich will ganz schnell eine Fortsetztung.....

Ilona hat gesagt…

Oh man Missi .... wie schaffst du es nur immer so grandios zu schreiben. Ich hab echt total mitgefiebert. Jeder Teil deiner Story zieht mich sofort in den Bann. Leider ist nur immer alles viel zu schnell vorbei!
Ich kenn die Situation in der Sandy steckt nur allzu gut, deshalb kann ich mich da auch sehr gut reinversetzen.

Bitte schnell weiter!

Und vielen vielen Dank!

Lg
Ilona

Murmele hat gesagt…

tz tz tz Jon nu mach aber mal halblang....

Richie ist ein erwachsener Mann, der macht was er will... da braucht er keine kleine Sandy die aus Deutschland einen halben Jahresvorat an Bier mit bringt...
Sich zuzuschütten, dass kann der Herr Sambora auch alleine :)

JON!!!! Hirn einschalten und nicht Sandy für alles verantwortlich machen.... ist schon einfacher wenn man die betreffende Person nicht erreichen kann es an einer anderen auszulassen... am besten ist die eigene Freundin.. und ihr dann die ganzen Vorwürfe machen, die eigentlich an Richie gerichtet sind....

Jon pass auf, was du machst... der Schuss kann schwer nach hinten los gehen.... niemand lässt sich gerne zu Unrecht beschuldigen ;)

Yasi hat gesagt…

Hi Missi! Ich hab die FF die letzten paar tage am stück durchgelesen und hoffe in eurem fanclub ist noch platz für mich =)

aber jezt echt mal "was geht da zwichen dir und richie vor?!" Das geht ja wohl gaaaaaaar nicht!
Scheib schnell weiter ja
*drängel*

glg
yasi

Ilona hat gesagt…

Hallo Missi,

wir kommentieren hier doch schön brav ....
Bitte, bitte, mach schnell weiter!

Lg
Ilona

Sam hat gesagt…

Ist schon wieder Zeit zu Drängeln???????

Ich versuche es mal so....
Büüüüüüüüüüüüüde,Büüüüüüüüüüde liebe missi.... gib uns doch ne Fortsetzung. Du warst doch irgenwie grade so schön in Fahrt....*grins*.... der nächte Teil liegt doch bestimmt schon in der Schublade.... was soll er da rumliegen, veröffentliche ihn lieber...

Knuddels Sam