Mit Tränen in den Augen sah ich auf, mir wurde bewusst, dass
ich den Brief laut vorgelesen hatte, denn Jon schaute mich aufmerksam an.
„Du hast Heimweh ?“
„Ja,“ schniefte ich, „manchmal schon.“
„Oh Süße ! Jetzt schon ?“
„Ich hab das dann und wann, selbst wenn ich erst ein paar
Tage unterwegs bin.“
Seine blauen Augen ruhten auf mir, ich konnte seinen Blick
nicht deuten.
„Weißt Du, ich wollte etwas von daheim hier haben, etwas,
das ich kenne. Etwas, das mit mir und meinem bisherigen Leben zu tun hat.“
Ich stockte, ich wusste nicht, wie ich es ihm erklären
sollte und ob er tatsächlich verstand, was in mir vorging. Er, der Jetsetter,
der bereits seit Jahrzehnten aus dem Koffer lebte, in den tollsten Hotels
wohnte, jeden Tag woanders aufwachte, der die ganze Welt gesehen hatte.
Jon betrachtete nachdenklich die bunten Packungen, die vor
uns auf der Theke ausgebreitet waren. Dann wandte er sich wieder zu mir.
Bei seinen Worten, die nun folgten, wusste ich, dass er mich
verstanden hatte und wir mit unseren Ritualen gar nicht so weit auseinander
waren.
„Erinnerst Du Dich noch an unseren allerersten Abschied ? In
Kanada ?“
Ich nickte nur. Natürlich erinnerte ich mich daran, hatte ja
weh genug getan……
„Du hast mir Deinen Ring geschenkt.“
Er hielt inne und strich mir leicht mit den Fingerspitzen
über meinen nackten Arm.
„Diesen Ring hab ich nicht ständig um den Hals. Aber bei
wichtigen Ereignissen hab ich ihn immer in meiner Hosentasche, tief unten vergraben,
damit ich ihn nicht verliere. Weißt Du, auch ich habe manchmal Heimweh, selbst
wenn ich es gewohnt sein sollte, so viel unterwegs zu sein. In der Zeit, in der
ich hier alleine lebte, graute mir regelrecht davor, die Haustüre
aufzuschließen, wenn ich von einem Konzert oder einem längeren Aufenthalt
zurück kam. Es war so fürchterlich still, so…“ er stockte und sammelte sich,
bevor er weiter sprach. „Einsam. Oft dachte ich, ich wäre der einzige Mensch
auf dieser Welt.“
Dann nahm er meine Hände und hielt sie fest in seinen.
„Das wird jetzt anders sein, weil ich weiß, dass Du da sein
wirst.“
„Aber…. Wir gehen doch demnächst auf Tour ? Dann werde ich
nicht da sein….“
„Das ist egal, Du wirst immer hier sein, selbst wenn Du
nicht wirklich da bist.“
In diesem Moment konnte ich ihn nicht ansehen, zu schön
waren seine Worte. Zu warm war seine Stimme. Fast meinte ich, die Gefühle in
mir brachten mich zum Explodieren. Doch es war noch nicht genug. Wieder zog er
mich fest an sich und vergrub seinen Kopf in meiner Halsbeuge.
„Wo ich bin, ist auch Dein Ring. Er ist stets bei mir, er
ist mein Glücksbringer, mein Schutzengel geworden.“
Er hauchte nur mehr an meinem Hals und die Tränen bahnten
sich ihren Weg.
Nach unendlicher Zeit, so schien es mir, löste ich mich aus
seinen Armen und betrachtete nochmals die Dinge, die mir Tanja geschickt hatte.
Nach einem Nicken von Jon griff ich nach meinem Handy. Verständnisvoll, wie er
war, ließ er mich lächelnd alleine.
Die Uhr zeigte kurz nach zehn an, ich konnte sie also
getrost anrufen. Sie nahm nach nur dreimal Klingeln ab.
„Hi !“ rief sie mit ihrer unnachahmlichen Art in den Hörer
und ich konnte ganz genau ihr typisches Lachen hören. Ich hatte noch kein
einziges Wort gesagt und sie schüttete sich vor lauter diebischer Freude aus. Und
dieses Lachen war so ansteckend, dass ich nur mit einfallen konnte. Nachdem wir
uns endlich wieder beruhigt hatten, wollte sie gleich wissen, ob alles unversehrt
angekommen war.
„Jaaaa, es ist alles
ganz, sogar der Cellini ! Hach, Du bist einfach die Beste ! Du weißt gar nicht,
wie sehr mich das gefreut hat, danke schön !“
„Keine Ursache, das ist doch das mindeste, was ich für Dich
tun kann.“
„Das erleichtert mir das Ganze hier ungemein !“
„Frustfutter ?“
„Frustfutter ! Echt, Tanja, ich weiß gar nicht, was ich
sagen soll !“
„Dann sag einfach nix und wenn Du was davon isst, denkst Du
ganz einfach an mich, okay ?“
„Versprochen ! Ich mach das wieder gut !“
„Brauchst Du nicht. Schön, dass ich Dir eine Freude machen
konnte.“
Plötzlich kam mir eine Idee. Eine Idee, die ihr ganz
bestimmt ganz gut gefallen würde.
„Süße, was hältst Du davon…. ich meine…. wir gehen ja
demnächst auf große Reise…..“
Sie atmete mit einem zischenden Laut tief ein.
„Du meinst jetzt aber nicht das, was ich gerade denke dass
Du meinst ?“ fragte sie gespannt.
„Doch, genau das ! Wann kommst Du uns besuchen ?“ platzte
ich heraus.
„Hey, also ganz ehrlich, ich weiß nicht, ob ich das packe.“
„Was ?“
„Na ja…..“
„Du meinst, wenn Du her kommst und auf Jon…..“
„Genau ! Ich darf gar nicht dran denken, was passiert, wenn
ich vor ihm stehe !“
„Du kippst halt aus den Latschen, bist ohnmächtig,
bewusstlos, was weiß ich. So schlimm ist das nicht.“
„Für Dich nicht. Aber Du und Tini hättet dann wenigstens was
zum Lachen.“
„Genau !“
Ich brüllte schon jetzt, nur bei der Vorstellung der
Situation.
Zögernd fuhr sie fort:
„Ich würde ihn schon gerne mal kennen lernen….“
„Tanja, sei ehrlich ! Du würdest alles dafür geben, ihn
einmal persönlich zu treffen !“
„Ja, ist ja schon gut, das stimmt schon !“
„Komm schon ! Ich hab`s schließlich auch überlebt !“
„Ja, Du ! Das ist
ja was völlig anderes !“
„Was ist denn da so anders ? Als ich zum ersten Mal vor ihm
stand, war ich genauso paralysiert und brachte keinen Ton heraus !“
„Aber Du…. Du bist ein Star, Du bist bekannt. Außerdem warst
Du zu dem Zeitpunkt bereits mit Aerosmith unterwegs gewesen, warst mit Joe
Perry zusammen, kanntest schon einige berühmte Leute !“
„Das hat mir, als ich vor Jon gestanden bin, überhaupt gar
nix geholfen, das kannst Du mir glauben.“
„Mhhhmmm,“ brummelte sie nur.
„Schatzi, das hilft Dir nichts, Du kommst zu uns rüber. Ich
schick Dir das Ticket. Und jetzt keine Diskussion mehr, sag mir nur wann.“
„Sag Du mir wann !“
„Also….“ Ich blätterte rasch in meinem Terminplaner. „In
sechs Wochen spielen wir in New York das erste Konzert. Ginge das bei Dir ? Das
wäre doch echt toll, so zum Tourauftakt ?“
Ich hörte Papier rascheln, vermutlich blätterte sie ebenso.
„Ja, da ist die Vernissage in Madrid zwei Wochen eröffnet,
da muss ich nicht mehr so oft dort sein, das wäre okay.“
„Also dann ?“
„Aber das Ticket bezahle ich selber !“
„Nein ! Tust Du nicht ! Ich kenn Dein Kreditkartenproblem.“
„Sandy, das ist gelöst ! Juan hat mir endlich meine Kohle
überwiesen, die er mir schuldete. Und ich muss sagen, es geht mir gut !“
„Wie gut ?“
„Sehr gut ! Ich will nicht angeben, aber momentan bin ich
eine reiche Frau. So scheiße der Typ als Partner ist, so genial ist er als
Geschäftsmann und Galerist. Muss ich leider, oder zum Glück für mich, zugeben.
Er hat durch seine charmante Art mächtig viel von meinen Bildern und Skulpturen
verkauft und für die Ausstellung an sich hat er auch noch Geld für mich heraus
gehandelt.“
„Du bekommst Geld nur für die bloße Ausstellung ?“ fragte
ich ungläubig.
„Jep. Allerdings kann ich jetzt noch ganz schön schuften für
die nächste.“
„Na dann, halt Dich ran !“
„Mach ich !“
„Ich freu mich auf Dich ! Aber Tini sag ich nichts davon,
die könnten wir doch damit überraschen.“
„Gute Idee ! Dann richte mal an alle schöne Grüße von mir
aus und pass auf Dich auf !“
„Du aber auch auf Dich ! Und wenn was ist, rufst Du an, okay
?“
„Solange Jon nicht ran geht !“
„Ach komm !“
Wir verabschiedeten uns und mit einem erhebenden, ja,
richtig glücklichen Gefühl flitzte ich zu Jon`s Arbeitszimmer. Wie üblich hing
er am Telefon, sah jedoch überrascht auf, als er mich sah und bedeutete mir,
dass das Gespräch bald zu Ende wäre.
Aufgeregt hüpfte ich von einem Bein auf das andere.
4 Kommentare:
Hallo Missi,
ach wie schööööööööööööööööööön!
Danke!
Lg
Ilona
Hatte die ganze Zeit ein fettes grinsen auf dem Gesicht. Das wird was Tanja und Jon^^ Ich freu mich auf jeden Fall schon auf dieses Treffen! War ein weltklasse kapitel Missi, freu mich schon auf das nächste *drängel*
glg
Yasi
Da kommt ja richtig Vorfreude auf. Ich kann es kaum erwarten bis Tanja auf Jon trifft.... irgendwie kann ich mir das bildlich vorstellen :o)
Hoffentlich geht es bald weiter.
@runaway*: du kannst dir das bildlich vorstellen, wenn tanja auf jon trifft??? DAS glaub ich dir aufs wort *gg*
Missi... ich finds klasse das du weiter postest.... immerhin weiß ich ja wie weit du schon geschrieben hast *fg*
mach weiter so....
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