Nichts hielt mich mehr, die Neugier wurde übermächtig.
Schnell flitzte ich auf Umwegen, weil die Küche immer noch mit meinen Kartons
voll gestellt war, hinaus und riss dem Mann vom Paketdienst die Schachtel aus
den Händen. Aufgeregt las ich das Etikett, und war ziemlich überrascht. Mit
zitternden Händen stellte ich es auf der Theke ab und suchte nach einem Messer,
um das blaue Klebeband aufzuschneiden.
„Halt ! Das mach besser ich ! Du zitterst ja wie Espenlaub
!“ grinste Jon und nahm mir das Messer aus den Händen. „Von wem ist es denn ?“
Nun war er auch neugierig geworden und drehte es zu sich, damit er den Absender
lesen konnte.
„Tanja ?“ fragte er ebenfalls überrascht.
„Nun mach schon auf !“ forderte ich ungeduldig. Ich konnte
es fast nicht mehr aushalten und hibbelte von einem Bein auf das andere. Die Luftpoltersäckchen und das Packpapier flogen zur Seite,
und was ich dann sah, ließ mich die Luft anhalten.
„Oh Tanja, Du bist ja soooo süüüüüß !“ jubelte ich lauthals.
Mit fliegenden Händen beförderte ich alles zu Tage, was sich
im Dunkel des Kartons versteckte. Meine übermächtige Freude hatte Jon nun
sprachlos gemacht. Er sah mich mit offenem Mund an und schüttelte ungläubig den
Kopf.
Mhhhhmmmm ! Gummibärchen ! Und dann noch die große Tüte !
Tataaaa ! Und so viele Tafeln Noisette Schokolade mit 300 Gramm (wobei ich mir
immer und immer wieder einrede, es wären nur 200 Gramm), 4 Nutella Gläser, Maultaschen,
Spätzle, Schupfnudeln, Weißwürste, natürlich alles vakuumverpackt, der
dazugehörige süße Senf, und als ob das noch nicht genug wäre, eine Stange Black
Devil, die süßen, schwarzen Zigaretten, die man in Deutschland schon so schwer
bekommen konnte. Ganz tief unten lag, extra in Luftpolsterfolie verpackt, eine
Flasche Cellini.
Jon sah mich fragend an.
„Den hab ich mit meinen Bon Jovi Mädels immer getrunken.
Runaway mag den so sehr !“
„Runaway ?“
„Runaway ist ihr Nick auf .de,“ erklärte ich ihm atemlos.
„Nick ? de eh ?“
Sein Gesicht sagte mir, das er nur noch Bahnhof verstand, so
aufgeregt wie ich war und so schnell wie ich plapperte, war das ja auch kein
Wunder……
„Runaway ist ihr Tarn- oder Spitzname im Internet und mit
.de meine ich das deutsche Fanforum von Euch.“
„Ah. Und da warst Du auch angemeldet ?“
„Jon, was für eine Frage ! Natürlich ! Bin ich übrigens
immer noch.“
Ich musste laut loslachen, als ich an Tanjas Geburtstag
dachte und erzählte Jon davon.
Noch während wir bei Kaffee und Kuchen saßen, ich hatte
gerade einmal die Hälfte meines Kaffees getrunken, flüsterte mir Runaway zu:
„Sach ma, gibt`s hier eigentlich nichts Richtiges zu trinken
?“
Grinsend war ich aufgestanden und hatte Tanja um eine
Flasche Prosecco gebeten, die diese mir mit rollenden Augen wortlos überreicht
hatte. Heimlich füllte ich unsere Kaffeetassen damit, schließlich waren Runaway
und ich zum aller ersten Mal mit Tanjas Familie zusammen….
Nachdem die Familie weg war, hatten wir einen richtigen
Mädelsabend verbracht, einander schmutzige Fantasien erzählt, schmutzige
Erlebnisse gebeichtet und über Männer abgelästert. Ihre Nachbarin, die gleich
nebenan wohnte, war auch noch geblieben und so waren wir 4 Blondinen in einem
Raum und völlig losgelöst durch Unmengen von Prosecco im Blut. Wir hingen kreuz
und quer auf Tanjas Sofa, manche drauf und manche auch davor. Je später es
wurde, um so mehr schaukelten wir einander hoch mit unseren Geschichten und
unserem Gelächter. Am nächsten Tag hatte ich richtigen Bauchmuskelkater vor
lauter Lachen. Das war jedoch nicht so schlimm wie Runaways Kater am nächsten
Tag. Den hatte sie nämlich auch noch am späten Nachmittag, als wir los wollten
auf den Weihnachtsmarkt…..
Wir hatten uns vorher zum Kaffeeklatsch bei mir verabredet,
doch Runaway – immer noch grasgrün im Gesicht – vertrug nur Kamillentee. Sie
meinte, was anderes würde sie eh nicht bei sich behalten. Jedoch, als wir auf
dem Markt angekommen waren, trank sie einen Glühwein nach dem anderen. Spät in
der Nacht trudelten wir wieder bei mir daheim ein und wollten einen letzen
Absacker zu uns nehmen. Dieser Absacker dauerte dann allerdings auch noch bis
fast vier Uhr früh. Da war sie dann wieder fit.
Er grinste nach meiner Erzählung frech über alle vier
Backen.
„Was meinst Du mit „schmutzigen Fantasien“ ? Was habt Ihr
Euch da so erzählt ?“
„Jon, glaub mir, das willst Du nicht wirklich wissen !“
„Jetzt erzähl halt…..“
„Nein, ganz bestimmt nicht !“
„Ich will das jetzt aber wissen ! ALLES !“ kam er fordernd
auf mich zu.
„Ich werde aber nix erzählen ! NIHIIIICHTS !“
„Jetzt komm schon !“ forderte er und setzte dabei dieses
charmante Lächeln auf, dem ich normalerweise keinesfalls widerstehen konnte.
Doch ich riss mich zusammen und schüttelte mit zusammengepressten Lippen den
Kopf.
„So schlimm ?“
„Schlimmer !“
„Geht`s bei Euch immer so zu ?“ fragte er dann etwas
konsterniert.
„Meistens.“
Ganz sicher würde ich ihm niemals davon erzählen, wie wir
die DVDs von Bon Jovi anschauten und wie oft wir diese stoppten, um sein
Standbild anzusabbern. Oder wie wir über sein Hüftkreisen, seine Blicke oder
etwa sein Lächeln diskutierten…..Die endlosen Gespräche über seine Shirts,
seine Hosen….Wenn er seine Arme hochreckte und sein berühmtes „V“ zutage trat….
Wie sollte ich ihm auch das Gekreische und Gequieke erklären, das immer dann
lautstark auftrat, wenn er das machte ? Auf keinen Fall. Auf gar keinen Fall. Kopfschüttelnd drehte
er sich weg, allerdings konnte er sein Grinsen dabei nicht verheimlichen.
Wieder schaute ich die Sachen an, die sie mir geschickt
hatte. Dankbar schickte ich ihr ein lautloses „Danke !“ in die Richtung, in der
ich meine alte Heimat vermutete.
Jon grinste über beide Backen und holte sich noch frischen
Kaffee.
„Stop !“ rief er plötzlich und hielt meine Hände fest, die
das Packmaterial bereits wieder in den Karton beförderten.
„Was ?“
„Sie hat Dir die Sachen doch nicht geschickt, ohne eine
Zeile zu hinterlassen ? Ist kein Brief drin ?“
„Stimmt….“
Rasch kramte ich das ganze Zeugs wieder heraus und musste
schon wieder lachen.
„Captain Crash !“ kreischte ich und lachte Tränen.
Jon sah mich wieder vollkommen fassungslos an, so langsam
verstand er die Welt wirklich nicht mehr.
„Schatz, Du hältst Konfetti in den Händen, was hat das mit
Captain Crash zu tun ?“
„Schatz, Captain Crash ist ein Song der Band Bon Jovi. Wenn
Bon Jovi diesen Song auf einem Konzert spielt, wird Konfetti geworfen. Sag
bloß, Du hast das noch nie mitgekriegt ?“
„Also, ganz von der Rolle bin ich nun auch wieder nicht,
natürlich weiß ich, dass die Fans das immer werfen. Aber sagt Ihr tatsächlich
so dazu ?“
„Jep. Bei uns heißt Konfetti nicht Konfetti, sondern eben
Captain Crash !“
Kopfschüttelnd lachte er laut auf und ich ließ mich in seine
Arme fallen. Kurz musste ich noch daran denken, wie Tanja
ihr Geburtstagsgeschenk von Runaway öffnete und der Boden des Wohnzimmers voll
davon war....Doch nur Sekunden später löste ich mich wieder von ihm. Die
Nachricht.
Ganz unten fand ich dann das kleine, pinkfarbene Kuvert und
riss es auf.